Fremden Kind
er erkannte, und er verabschiedete sich lächelnd von seinen Plänen für den restlichen Tag. »Hätten Sie vielleicht einen Spaten?«, fragte er.
»Aber dann brauchen Sie natürlich auch eine Unterlage für die Blumenerde. Und machen Sie mir bitte meine Mauerblümchen nicht kaputt«, sagte sie mit einem Hauch Liebenswürdigkeit, jetzt, da sie sich zu einem höflichen Umgang durchgerungen hatten. »Wissen Sie was, ich werde noch das Mädchen mit einspannen.«
»Ach, ich glaube, ich komme auch so zurecht«, sagte Paul.
»Es wird ihr schon nicht schaden«, sagte Mrs Keeping. »Sie geht nächstes Semester nach Oxford, und sie sitzt sowieso die ganze Zeit nur rum und liest. Ihre Eltern sind in Malaysia, und jetzt hat sie uns am Hals« – ein deutlicher Hinweis, dass es sich ihrer Ansicht nach umgekehrt verhielt. Mit gerecktem Kinn marschierte sie über den Rasen und rief nach Jenny.
Jenny Ralph führte Paul zum hinteren Teil des Gartens, durch einen Spalierbogen in eine von der Sonne verschonte Ecke, wo sich ein Komposthaufen und ein Schuppen mit spinnwebenverhangenen Fenstern verbargen. Sie behandelte ihn mit dem gereizten Snobismus eines verwöhnten Kindes gegenüber einem fremden Bediensteten. »Da drin finden Sie alles, was Sie brauchen«, sagte sie und sah zu, wie er sich zwischen dem Gerümpel im Schuppen einen Weg bahnte. Der Rasenmäher versperrte ihm den Weg, am Auffangkorb klebte eine Kruste aus kotartigen vertrockneten Grasklumpen. Er streckte die Hand nach dem Spaten aus und trat versehentlich gegen ein loses Bund Bambusstöcke, das klappernd sternförmig auseinanderfiel. Es herrschte ein erstickender Geruch nach Teer- und Zweitaktöl. »Das ist die reinste Hölle da drin«, rief Jenny. Sie hatte eine ausgesprochen vornehme Stimme, aber lässiger, nicht so forsch wie ihre Tante. Bei einem jungen Menschen wie ihr war der Akzent auffälliger, verräterischer; es hörte sich an, als wäre er ihr leicht zuwider, aber als hätte sie nicht wirklich die Absicht, ihn abzulegen.
»Es geht schon«, rief Paul nach draußen. Seine Verlegenheit in Gegenwart des Mädchens verbarg er hinter lebhafter Geschäftigkeit, reichte den Spaten und einige alte Plastiksäcke heraus. Er musste fünf, sechs Jahre älter sein als Jenny, aber der Vorteil war billig. Ihre schlechte Haut und der fettige Schimmer auf ihren dunklen lockigen Haaren deuteten auf Probleme hin, denen er selbst gerade erst entwachsen war. Die Tatsache, dass sie nicht besonders hübsch war, machte es ihm in mancher Hinsicht leichter, erzeugte aber auch einen subtilen Druck in ihm, sich ihr gegenüber galant zu verhalten. Mit leicht spöttischer Miene und einer Pflanzenschaufel in der erhobenen Hand tauchte er aus dem Schuppen hervor.
»Sie haben bestimmt nicht die geringste Lust auf diese Arbeit«, sagte Jenny mit einem verschlagenen, mitleidigen Lächeln. »Sie schaffen es leider immer wieder, andere für sich einzuspannen.«
»Ach es macht mir nichts aus«, sagte Paul.
»Es ist so eine Art Test. Tante Corinna testet andere Leute gern. Sie kann nichts dafür. Ich habe es schon zigmal erlebt. Und ich meine nicht nur am Klavier.«
»Ach, ja?«, sagte Paul. Jennys Offenheit, originell und auch irgendwie oberschichtmäßig, erheiterte ihn. Nervös schaute er sich um, als sie den Rasen betraten. Tante Corinna inspizierte am anderen Ende eine durchhängende Ranke und hatte vermutlich schon weitere Aufgaben oder Tests für Paul im Sinn. Eine große Trauerbirke neben ihr hatte sich wuchernd, aber malerisch ausgebreitet und ihr Blätterkleid schützend um einen Tisch gelegt.
»Sie hätte Konzertpianistin werden sollen. Das sagen alle. Ich weiß nicht, ob das wirklich stimmt. Kann ja jeder behaupten, er hätte dies oder das werden können. Jetzt unterrichtet sie jedenfalls Klavier. Natürlich erzielt sie hervorragende Resultate, aber die Kinder haben eine Heidenangst vor ihr. Julian meint, sie sei eine Sadistin«, sagte sie, eine Spur zu selbstbewusst.
»Oh …!«, sagte Paul stirnrunzelnd und mit einem despektierlichen Lachen und lief tiefrot an, eine todsichere Reaktion auf Tabuthemen. Manchmal ebbte die Röte unbemerkt ab, manchmal kehrte sie umso schlimmer zurück. Er blieb stehen, wandte sich verschämt zur Seite und breitete die Plastiksäcke auf dem Rasen aus. »Julian ist also ihr jüngerer Sohn«, sagte er, noch immer mit dem Rücken zu ihr.
»Oh, John würde so etwas niemals sagen, dazu ist er viel zu anständig.«
»Demnach wäre Julian also
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