Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
Vom Netzwerk:
Glauben aufgewachsen, Wantage sei ein hübsches kleines Städtchen. »Für König Alfred war es jedenfalls gut genug, Sir«, sagte er.
    Mrs Keeping genehmigte halbherzig den scherzhaften Widerspruch. »Das ist ein bisschen weit hergeholt«, sagte sie. Aber dann kam ihr offenbar eine Idee. Sie legte den Kopf schief und begutachtete seine Schultern, seine Statur. »Sind Sie kräftig?«, fragte sie.
    »Na ja, einigermaßen«, sagte Paul, verunsichert durch den prüfenden Bick. »Ich glaube, schon, ja.«
    »Dann könnte ich Sie vielleicht gebrauchen. Kommen Sie mal mit.« Es lag etwas leicht Einschmeichelndes in ihrem Ton.
    »Paul hat vielleicht schon etwas vor, Darling«, sagte Mr Keeping, gab sich aber bereits geschlagen.
    »Ich brauche ihn nicht lange.«
    »Ein paar Minuten könnte ich schon erübrigen«, sagte Paul.
    Sie durchquerten die Diele und gingen in den angrenzenden Raum. »Ich möchte nicht, dass sich mein Mann den Rücken ruiniert«, sagte Mrs Keeping. Das Wohnzimmer war vollgestellt mit Möbeln, schweren Polstersesseln und -sofas, Lehne an Lehne auf einem dicken beigebraunen Teppich, Sets aus Beistelltischchen, Stehlampen, an der Wand zwei erstaunliche, den Raum dominierende viktorianische Porträts, eine Frau in Rot und ein Mann in Schwarz, die auf die Stereoanlage und die Fernsehtruhe aus Teak links und rechts des Kamins herabblickten. Auf dem Fernsehgerät standen mehrere gerahmte Fotos, auf denen Paul zwei Jungen in Segelkleidung erkannte, vermutlich Julian und John. Durch eine Flügeltür traten sie nach draußen auf eine große Terrasse. »Das ist Mr Bryant«, sagte Mrs Keeping. »Sie können Ihre Aktentasche hier abstellen.«
    »Ja, gut«, sagte Paul und nickte den beiden Frauen in den Liegestühlen zu. Sie wurden ihm vorgestellt als: »Meine Mutter, Mrs Jacobs« – die alte Dame mit dem Strohhut, die er bereits gesehen hatte –, und: »Jenny Ralph, meine Nichte, also, das heißt die Tochter meines Halbbruders!«, als hätte sie das Verwandtschaftsverhältnis jetzt gerade zum ersten Mal ausgetüftelt. Paul konnte nur so tun, als hätte er alles verstanden, nickte noch mal und murmelte im Vorbeischleichen ein Hallo. Jenny Ralph war ein mürrisches dunkelhaariges Mädchen, etwas jünger als er, mit einem Buch und einem Notizblock auf den Knien; er spürte, wie er der dumpfen Kampfansage, die sie ihm entgegenschleuderte, auswich.
    Es ging um einen Steintrog am hinteren Rand der Rasenfläche, der von einem der beiden Klötze, auf denen er ruhte, heruntergerutscht oder -gestoßen worden war; Pflanzenerde lag verstreut im Gras, und aus dem Trog hing haltlos ein Büschel orange-schwarzer Mauerblümchen. »Wenn Sie ihn bitte wieder aufrichten könnten.« Mrs Keeping war zu ihrem Befehlston zurückgekehrt, als wäre Paul es gewesen, der den Schaden angerichtet hatte. »Ich möchte nicht, dass er auf Roger fällt.«
    Paul bückte sich und hob den Trog versuchsweise an, erreichte damit aber nur, dass er auf dem schräg liegenden anderen Klotz etwas verrückt wurde. »Sie wollen ihn doch nicht etwa ganz umkippen«, sagte Mrs Keeping, die sicherheitshalber einige Meter Abstand hielt.
    »Nein«, sagte Paul. »Aber er ist ziemlich schwer.«
    »Ohne Jacke geht es sicher einfacher.«
    Paul gehorchte, und als er sah, dass Mrs Keeping offenbar nicht die Absicht hatte, seine Jacke so lange zu halten, hängte er sie über einen geflochtenen Gartenstuhl. Ohne die Jacke, seine schmächtige Gestalt mehr zur Schau gestellt, kam er sich noch viel ungeeigneter für diese Arbeit vor. »Stimmt«, sagte er und lachte albern. Seine Gastgeberin, als die er sie gern betrachtet hätte, gewährte ihm ein provisorisches Lächeln. Vorsichtig schob er beide Hände unter die auf dem Rasen aufliegende Ecke des Trogs, und nachdem er ein paarmal wie ein Baumstammwerfer angesetzt hatte, gelang es ihm, den Trog wenige Zentimeter anzuheben, musste ihn aber gleich wieder an derselben Stelle absetzen. Er schüttelte den Kopf und sah zu den Gestalten auf der Terrasse, knapp dreißig Meter entfernt. Mr Keeping hatte sich zu seiner Schwiegermutter und Nichte gesellt; alle drei blickten, während sie sich unterhielten, vage in Pauls Richtung, zeigten sich jedoch, vielleicht sogar aus Rücksicht, nicht sonderlich interessiert. Paul kam sich wichtig und gleichzeitig völlig deplatziert vor.
    »Sie werden ihn wohl ausleeren müssen«, sagte Mrs Kee ping, als hätte Paul sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt.
    Hier half nur stoischer Humor, wie

Weitere Kostenlose Bücher