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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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ihrer Stimme, als müsste sie sich Peters Charme und nicht minder seinem Hohn tatkräftig widersetzen.
    »Ich hoffe, meine Zimmertür steht dann nicht auch offen, Hausmutter«, sagte er. Sie griff sich das oberste Laken. »Hier, darf ich …« Es hätte sich gehört, Paul vorzustellen, doch Peter wollte ihr Misstrauen noch weiter anstacheln.
    »Wir müssen alle zusehen, dass wir fertig werden«, sagte sie mit einem steifen Lächeln.
    »Ja, ja, unbedingt.« Es war nicht klar, ob sie von ihm erwartete, dass er die Laken jetzt gleich wechselte. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie aufs Bett.
    »Also gut …! Ich überlasse es Ihnen«, sagte sie. »Das obere nach unten.«
    »Selbstverständlich.«
    Damit zog sie sich zurück. Peter machte die Tür fest zu, grinste gereizt und schenkte zwei Gläser Wermut und Gin ein. »Tut mir leid, die Störung. Trinken wir einen drauf … zum Wohl.« Sie stießen an. Peter schaute über den Rand des Glases und beobachtete Paul, der einen Schluck trank, leicht das Gesicht verzog, den Hustenreiz hinunterschluckte und das Glas auf dem Schreibtisch abstellte. »Mann, siehst du sexy aus.« Der Klang seiner eigenen gepressten Stimme erregte Peter fast noch mehr. Paul stöhnte, nahm wieder sein Glas und sagte etwas Unverständliches, das nach Peters sicherem Gespür wohl in die gleiche Richtung ging.
    Der Park würde mehr Schutz bieten als das Zimmer, selbst wenn er einen Stuhl unter die Türklinke klemmte, überlegte er, doch kaum waren sie draußen, umfingen sie ungewöhnliche Geräusche, es brummte vor Aktivität, ein Rasenmäher lief, etwas weiter entfernt waren Stimmen zu hören. Dennoch, nach einem großen, in zwei Minuten geleerten Glas Gin erschien einem die Schule auf angenehme Weise unwirklich. Der Abend hatte seinen eigenen Schwung und Rhythmus. Peter erinnerte sich an Sommerabende während seiner Schulzeit und das quälende Geheimnis – nur durch eine flüchtige Vorstellung davon erhellt –, was die Lehrer wohl machten, nachdem die Jungen ins Bett gesteckt worden waren. Ob je einer das getan hatte, was er gleich tun würde? Auch Paul hatte der Gin etwas entkrampft, gleichzeitig achtete er genauer darauf, was er nun tat oder sagte. Peter fragte ihn spontan, ob er Einzel kind sei, und Paul antwortete: »Ja«, mit einem schmalen Lächeln, das sowohl die Frage zu hinterfragen als auch das raffinierte Selbstvertrauen des Einzelkinds demonstrativ zu beweisen schien. »Und du?«
    »Ich habe noch eine Schwester.«
    »Eine Schwester zu haben kann ich mir gar nicht vorstellen.«
    »Hast du sonst noch Familie?« Es waren die typischen Kennenlernfragen, und Peter ahnte bereits, dass er sich später nicht mehr an die Antworten würde erinnern können. Er wollte Paul in den Wald locken, das verbotene Gelände, führte ihn schnell an dem trostlosen kleinen Fischteich vorbei, weiter bis zum Steintor.
    »Ja, meine Mutter.«
    »Und was macht sie so?«
    »Eigentlich gar nichts, leider.«
    »Meine auch nicht, aber ich dachte, ich sollte wenigstens fragen.«
    Paul hielt kurz inne und sagte dann leise: »Als ich acht Jahre alt war, bekam sie Polio.«
    »Oje, das tut mir leid.«
    »Ja. Es ist nicht so einfach.« Die Worte klangen farblos, vielleicht weil es ihm peinlich war oder er sie zu oft wiederholt hatte.
    »Wo hat sie die Lähmung?«
    »Ihr … linkes Bein ist ziemlich schlimm. Sie trägt eine Schiene. Aber meistens benutzt sie den Rollstuhl, wenn sie aus dem Haus geht.«
    »Und dein Vater?«
    »Er wurde im Krieg getötet«, sagte Paul mit einem seltsamen, beinahe schüchternen Blick. »Er war Kampfpilot, er gilt als vermisst.«
    »Mein Gott«, sagte Peter mit echtem Mitgefühl und meinte in seinem laienhaften Verständnis, darin möglicherweise auch eine Erklärung für Pauls manchmal seltsames, gehemmtes Verhalten gefunden zu haben. »Das muss also kurz vor Kriegsende gewesen sein.«
    »Ja, richtig.«
    »Wann bist du geboren?«
    »März 1944.«
    »Du kannst dich also überhaupt nicht an deinen Vater erinnern.« Paul presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf. »Gott, das tut mir wirklich leid. Musst du deine Mutter unterstützen?«
    »Mehr oder weniger«, sagte Paul wieder mit der ihm eigenen zögerlichen Akzeptanz, offenbar vertraut mit dem ungeschickt geäußerten Mitleid anderer, wenn sie von seinem Schicksal erfuhren.
    »Aber sie bekommt doch vermutlich eine Rente von der Air Force, oder?« Peters Tante Gwen bekam so eine Rente, daher wusste er Bescheid.
    Paul schien leicht

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