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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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erkannte. »Ah, Donaldson …« Die Musik strauchelte und brach quäkend ab.
    »Entschuldigung, Sir.«
    »Macht nichts. Spiel ruhig weiter.« Der Junge, kein schlechter Klavierspieler, hatte die Erlaubnis erhalten, sich auch auf diesem nervtötenden Instrument auszuprobieren. »Beachte uns einfach nicht!« Für den Moment war ihm das Selbstvertrauen abhandengekommen, und er hatte alle Hände voll zu tun mit Tretschemel, Kniehebel und dem Richten der Noten. Er zog das Nasalregister und setzte erneut an mit »All is safely gathered in«.
    Paul war schon bis zum Grabmal vorgegangen, das zwischen den dunklen Reihen der Kirchenbänke zu schweben schien. Peter tastete die Wand hinter der geöffneten Tür ab und betätigte die alten starren Lichtschalter, doch es blieb dunkel. Donaldson schaute zu ihm hinüber. »Ich glaube, die Sicherung ist durchgebrannt, Sir.« Umso besser, dann würde ihr Besuch bei Cecil eben im Zwielicht stattfinden. Die leuchtenden Buntglasfenster von Clayton & Bell waren, wie alle Kirchenfenster bei schwindendem Licht, in triste Neutralität gesunken, die Farben würdevoll geheimnisumhüllt. Irgendwie erschien ihm das religiös, wie ein erneuerbares Mysterium. Peter bekreuzigte sich beim Nähertreten misstrauisch, weil er unsicher war, was ihm die Geste eigentlich bedeutete und ob er wollte, dass Paul sie sah. Eine Kirche war zweifellos ein ungewöhnlicher Ort für ein erstes Rendezvous und unterschied sich von allen, an denen er sich bisher verabredet hatte, meistens in Pubs.
    Um alle Schüler unterbringen zu können, hatte man in dem Spalt links und rechts von Cecil noch jeweils eine Stuhlreihe aufgestellt. Augenscheinlich war das Grabmal, mehr oder weniger der Stolz der Schule, in mancher Hinsicht auch ein Ärgernis. Die Jungen steckten dem Dichter gerne Papierzigaretten zwischen die Marmorlippen, und ein besonders dreistes Kind hatte ihm vor Jahren seine Initialen seitlich in die Brust geritzt. Peter räumte einige Stühle aus dem Weg, was einen höllischen Lärm verursachte. Paul trat näher und folgte dem Schriftband um den Marmorblock herum. »Cecil Teucer Valance MC …« Peter sah es heute mit einem frischen Blick; es war zweitrangige Kunst, aber wer hatte schon so etwas Wundervolles im eigenen Haus; er fühlte sich glücklich und versöhnt, das Grabmal jemandem zeigen zu können, der Cecil Valance tatsächlich mochte und dem vielleicht nicht aufgefallen war, dass Cecil als Dichter ebenfalls zweitrangig war. Das Grabmal machte mehr aus Cecil, als er war, bei aller kleinlichen Kritik. »Wie findest du es?«
    Schwer zu sagen, ob Pauls ernster, verlegener Blick Ausdruck großer Gefühle oder lediglich ein Überhang an Höflichkeit war. Er kehrte nach seiner Umrundung zurück zu Peter und sagte sehr leise, als zwinge die Kapelle ihn zu einer gewissen Diskretion: »Seltsam, hier steht gar nicht, dass er Dichter war.«
    »Ja …. ja, richtig, stimmt«, sagte Peter, selbst einigermaßen ergriffen und durch die ständige Berührung erregt. »Obwohl aus dem Spruch von Horaz eigentlich hervorgeht …«
    »Wie?«
    Er strich über die vergoldeten gotischen Lettern, übersetzte: »Morgen fahren wir hinaus auf das endlose Meer« – und versuchte, dabei nicht lehrerhaft zu klingen.
    »Oh, ja …«
    Wieder in Fahrt gekommen, zog Donaldson für die nächste Strophe des Kirchenliedes ein größeres Register auf, wahrscheinlich den Bourdon, dessen lautes knallendes Dröhnen sie irgendwie umhüllte. »Hast du schon mal das Shelley Memorial in Oxford gesehen?«
    »Ja.«
    »Bestimmt das einzige Bildnis eines Dichters, auf dem sein Schwanz zu sehen ist«, sagte Peter und warf einen Blick in den Rückspiegel an der Orgel, um festzustellen, ob Donaldson mitgehört hatte.
    »Ja, gut möglich«, murmelte Paul, offenbar viel zu überrascht, um Peters Blick aufzufangen. Er trat näher, um sich den Kopf des Dichters anzusehen, und Peter, hinter ihm, gab vor, seine Neugier zu teilen. Wieder legte er einen Arm lässig um Pauls Schulter, um die er seinen roten Pullover geschlungen hatte. »Hübscher Kerl«, sagte er, »findest du nicht?« Im Überschwang, leicht angespannt, ließ er seine Hand langsam nach unten gleiten, nur Pauls dünnes Hemd zwischen den Fingern und der warmen harten Einbuchtung des Rückgrats – »Ich meine, so wird er in Wirklichkeit wohl nicht ausgesehen haben« –, bis zu jener magischen Stelle am Kreuzbein, dem Sakralchakra, dem Punkt, der auf Druck alle Begierden frei setzte, wie ihm ein

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