Fremden Kind
her zu schlagen, dabei rücksichtsvoll so tun, als mache es ihm nichts aus, dass Peter weder als Fänger noch Werfer taugte, unbekümmert lächelnd seinen Weg fort. Es lag etwas Souveränes, ja Brutales in der schnellen Streckbewegung von Pauls Arm und dem harten Austrudeln des Balls entlang des geschwungenen Geländers.
In den Wald einzutauchen fühlte sich für Peter prickelnd und bedeutungsvoll an. Auch hier schien der Abend plötzlich weiter fortgeschritten. Selbst was sich in unmittelbarer Nähe befand, war von wucherndem Grün versperrt, die Schattenrisse der gewaltigen Baumstämme verschwommen, während sich das Dach des Waldes als ein fernes blendendes, sich bewegendes Glitzern gestaltete. Die Rosskastanien und Linden, die um die Sportplätze herum einen wogenden Wall bildeten, waren hier mit hohen Eichenbäumen und finsteren Eibengruppen durchmischt. Die Kinder kletterten und versteckten sich gern im Gestrüpp am Fuß der Linden und gruben in dem von Wurzelsträngen durchzogenen Erdboden ihre Tunnel. Hier und da verdichteten Barrikaden aus toten Ästen künstlich das Unterholz; dort bauten sie sich getarnte Lager mit geheimen Eingängen, durch die kein erwachsener Mensch, kein Lehrer hindurchkriechen konnte. Nie war man sicher, ob das Rascheln in der Nähe von einem Kind hinter seinem Guckloch herrührte oder doch nur eine Amsel im Laub war.
Paul verhielt sich jetzt noch ängstlicher als vorhin, blieb zögernd stehen, schaute an den Bäumen hoch, interessierte sich lebhaft für die Blätter am Boden, und sein schmales verkrampftes, bewunderndes Lächeln wirkte selbst lächerlich. »Komm her«, sagte Peter, und als Paul zu ihm kam, so als würde er gutmütig etwas viel Attraktiveres dafür aufgeben, das seine Aufmerksamkeit noch beanspruchte, hakte sich Peter fest bei ihm unter, machte auch dazu die nötige ironische Bemerkung und zog ihn forsch mit sich. »Du kommst jetzt mit mir!«, sagte er, zitterte, schluckte vor Aufregung und der latenten Lust an der Gewalt. Keine Minute länger wollte er warten – eigentlich hielt ihn von seiner heißen, rauschhaften, herrlichen Gier, ihn gleich hier und jetzt hart zu nehmen, nur das dumpfe Gefühl ab, es könnten noch irgendwo in den kleinen Erdhöhlen zwischen den Bäumen Jungen lauern. Er sah natürlich, dass Paul diese Behandlung brauchte, er brauchte jemanden, der ihn überwältigte. Trotzdem musste er, nachdem sie sich einige Meter geduckt, das Gesicht abgeschirmt, durch dickes Gestrüpp gewühlt hatten, nach Pauls verdruckstem »Ähem, eigentlich …!« klein beigeben. Pauls Miene schien weniger verängstigt als vielmehr verärgert.
»Entschuldigung, mein Lieber, habe ich dir wehgetan?« Peters Klammergriff lockerte sich, ging über in ein Streicheln, ein ungeschicktes Händchenhalten, zwei ineinandergeflochtene Finger, und in seine Zärtlichkeit mischte sich der gutmütige Verdruss darüber, in Schach gehalten zu werden. Er sah sich um, als dachte er an etwas anderes; alles schien gut, und dann, nach einem höflichen fragenden Innehalten, küsste er ihn sanft und saftig auf den Mund. In seinen Vorstoß legte er das Versprechen, sich zurückzuziehen, ein verlockender Tremor. Und wieder, als hätte man ihn überrumpelt, gab Paul nach, und wieder, als Peter zurückwich und lachte, fing er an zu reden. »Oh, Gott …«, sagte er mit einer leisen tragischen Stimme, die Peter noch nicht an ihm kannte. »Oh, mein Gott.«
»Na dann, komm«, sagte Peter ruhig, und mit neu gewonnener Zielstrebigkeit gingen sie weiter zu der gewaltigen alten Baumruine, die Peter als eine Art von Hernes Eiche betrachtete. Dahinter, unsichtbar, aber wirksam wie jede Inter natsregel oder wie jedes Verbot, verlief die Linie, die das Schulgelände vom verbotenen Gelände trennte.
Peter setzte Paul in Marlborough Gardens ab und sah von seinem Platz hinterm Steuer zu, wie er die Haustür aufschloss und sich in dem erleuchteten Türrahmen noch mal rasch umdrehte, ohne zu winken. In einem Schlafzimmerfenster schimmerte hinter ungefütterten rosa Vorhängen bereits Licht, und kurz darauf ging das Badezimmerlicht an. Er konnte sich das von Lichtern markierte, private, aber schlichte Leben in diesem Haushalt gut vorstellen, und Paul wurde sogleich wieder absorbiert von seinen Rhythmen, es waren seine und doch nicht seine. Er war erleichtert, wieder zu Hause zu sein, gleichzeitig aber war er abgelenkt und glühte vor neuem Wissen. Peter ließ den Motor an und fuhr mit seiner üblichen Miene
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