Fremden Kind
verärgert. »Ja, schon«, sagte er, und dann etwas herzlicher: »Doch, ja, die ist wirklich wichtig.«
»Oje«, sagte Peter leise. Es machte ihn natürlich betroffen, aber er wünschte, er hätte ihn nicht gefragt. Er sah die flirrende Energie des Abends durch sexfreien tröstenden Zuspruch erstickt, und er hatte die leise Ahnung, dass Paul mit seinen vielen Problemen möglicherweise selbst ein Problemfall war.
»Das ist der Grund, warum ich mich nicht für ein Studium an einer Universität beworben habe«, sagte Paul und quittierte diese seltsame Schlussfolgerung mit einem Achselzucken.
»Ah, ja. Mir war nicht klar, dass …«, sagte Peter, ließ es aber dabei bewenden. Er dachte zurück an sein eigenes Studentenleben, wie in einer flüchtigen Bildmontage, und versuchte, die nächste Welle von Mitleid und Enttäuschung, die sich zwischen ihm und seinem neuen Freund aufstaute, wegzublinzeln. Er schaute Paul an, der mit federndem Schritt in seinen adretten braunen Schuhen neben ihm herging, die Hände mal angespannt in den Taschen seiner Jeans, mal draußen, und der gequält blickte, wenn er irgendetwas Persönliches von sich preisgeben sollte. Das Beste wäre, diesen Problemen von Anfang an ins Auge zu blicken; ein erfahrener Liebhaber hätte sie bis nach den Flitterwochen verschwiegen. Sie kamen an dem ionischen Tempel vorbei, wo die Jungen ihre vierbeinigen und geflügelten Kleintiere in Käfigen hielten und Brookings und Pearson in Latzhosen gerade rührselig ihre Kaninchen kämmten. Dahinter lag der eingezäunte Schulgarten, der mit seinen zwei Dutzend Blumenbeeten wie ein Friedhof aussah, wie alle meinten. Hier beschäftigten sich einige der älteren Schüler, die man in dieser magischen Stunde nach dem Silentium hinausgelassen hatte, gruben auf den Knien mit Pflanzenhebern den Boden um oder gossen ihre Stiefmütterchen und ihre Kapuzinerkresse. Aus Pauls Lachen meinte Peter seine Angst vor den Jungen herauszuhören. In der hintersten Ecke, ungeschützt im Freien, war Duponts graziles Gärtchen, eine alpine Landschaft en miniature aus wacklig aufeinandergetürmten Steinen, mit einem Spalt im Gipfel, in den aus einer Dose Wasser hineingegossen werden konnte, welches in einer gewundenen Kaskade herabfiel und sich am Boden über eine Wildnis aus Heidekraut und Moos ergoss. Ebenso behutsam erhob das fragile Gebilde Anspruch auf den ersten Preis im Gartenwettbewerb, der von Cravens Mutter entschieden werden sollte, selbst eher eine von der Lippenblütler- und Ringelblumenfraktion. »Sie sehen aus wie Gräber, nicht!«, sagte Paul. Nachsichtig berührte Peter ihn am Rücken, und sie gingen weiter.
Auf dem Hochplateau mähte Mike Rawlins die geheiligten Maße des ehrwürdigen Kricketfeldes aus, bereit für die Schlacht gegen die Templers am Samstag. Peter winkte ihm, und ehe sie bei ihm waren, packte er Paul am Arm und wirbelte ihn herum. »Jetzt guck doch mal …« Da lag das Haus, massiv und wuchtig, dahinter das Ackerland, flach und malerisch im schweren Licht, am Himmel die Kondensstreifen der Flugzeuge von Brize Norton, die langsam aufstiegen und sich in den höheren Luftsphären auflösten. »Ist das nicht ein Anblick.« Er wollte Paul etwas entlocken, wie einem vielversprechenden, aber bockigen Kind. Doch dann kam ihm der Gedanke, dass seine Schüchternheit, die zu überwinden er ihm helfen wollte, vielleicht nur Stumpfsinnigkeit war, über die er in Zukunft immer würde hinwegsehen müssen.
»Sagenhaft.«
»Es kommt ja alles wieder«, sagte Peter, lächelte angespannt und schüttelte den Kopf.
»Was meinst du damit?«
»Das Viktorianische. Allmählich fangen die Leute an zu begreifen.« Letztes Jahr hatte er sich einer Demonstration gegen den Abriss der St Pancras Station angeschlossen, zu der John Betjeman aufgerufen hatte. Er träumte davon, Betjeman zu überreden hierherzukommen und den Jungen etwas über Corley Court zu erzählen, stellte sich vor, wie entzückt er über die Kassettendecke sein würde. »Das da oben ist mein Zimmer«, sagte er, ohne hinzuzeigen, und er sah, dass Paul keine Ahnung hatte, welches Zimmer er meinte. In einigen anderen Fenstern schimmerten im Gegenlicht der Abendsonne Neonröhren, und im Eckzimmer im ersten Stock waren die Vorhänge zugezogen, die Babys, die jüngsten Schüler dort, schon im Bett.
»Glaubst du, dass Cecil wirklich ein Verhältnis mit Mrs Jacobs hatte?«, sagte Paul.
»Oh! Es gibt nur eine einzige Person auf der Welt, die das mit Sicherheit beantworten
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