Fremden Kind
verschwundenen Wandschmuck, dem Blick auf eine weitere unbekannte Dimension des Hauses, in dem er wohnte und arbeitete, dass ihm das egal sein konnte. Es war ein Traum, eine fixe Idee, die er zugunsten seiner neuen, des Bankangestellten Paul, reumütig beiseiteschob.
»Hat mich sehr gefreut«, sagte der Direktor zu Paul auf dem Weg zurück zur Eingangshalle. »Und denken Sie daran: Wenn Sie uns Ihren Jungen anvertrauen wollen, melden Sie ihn frühzeitig an. Einige unserer alten Herren haben ihre Söhne schon bei der Geburt angemeldet; eine bessere Werbung kann eine Schule sich nicht wünschen.«
»Oh. Ja, äh … Meinen Jungen?«, sagte Paul, doch der Direktor machte kehrt, schritt mit einem Blick auf die Uhr durch die Halle auf den Tisch zu, ein unverwüstliches Relikt aus seligen Valance-Zeiten, packte die Handglocke, die darauf stand, und läutete sie mit unerbittlicher Härte zehn ge schlagene Sekunden lang, wie um sich gegen den ganzen Unsinn, den Peter gerade von sich gegeben hatte, zu verwahren. Sofort erwachte noch ein anderer, vertrauterer, schrillerer Lärm, in dem eine leise Trauer um die verlorene Stille mitschwang, in den umliegenden Räumen zum Leben. Paul erschauerte, vielleicht weil die Erinnerung ihn einholte; Peter legte ihm eine Hand ins Kreuz und schob ihn sanft zur Haupttreppe. Umgehend flogen Türen auf, Jungen trudelten in die Halle. »Ruhe!«, rief der Direktor grimmig. »Nicht rennen!« Die Jungen zügelten sich und sahen im Vorbeigehen neugierig Paul an. Immer wenn jemand von der Außenwelt in der Schule auftauchte, breitete sich eine merkwürdige Atmosphäre aus, und Peter wusste, dass man über ihn reden würde. Normalerweise machte ihm der Mangel an Privatsphäre nichts aus, aber im Moment hatte er das Gefühl, als wäre er selbst wieder Schüler. »Komm, wir gehen nach oben und trinken erst mal was«, murmelte er und nickte Milsom 1, der mit einer unter den Arm geklemmten Bibel an ihnen vorbeidefilierte, freundlich, aber wenig aufmunternd zu.
»Und was ist mit Cecil?«, fragte Paul enttäuscht und blieb auf der dritten oder vierten Stufe zögernd stehen.
»Willst du ihn dir jetzt gleich ansehen? Gut, aber nur einen kurzen Blick.« Peter lächelte steif und dachte, dass Cecil vielleicht doch kein Codewort für sie war. Er führte ihn zurück durch den Torbogen in den verglasten Säulengang, der an der Seite des Hauses verlief. Hier hingen schon einige Arbeiten für die Kunstausstellung. Er rempelte gegen Paul, als dieser höflich stehen blieb, um sich die auf Bretter befestigten Sonnenuntergänge in Wasserfarben anzusehen. Hier und da war auf den Bildern Talent zu erkennen, ein Hoffnungsschimmer zwischen den kindlichen Klecksereien. Kunst, die Technik und Vorstellungskraft gleichermaßen verlangte, war für Peter das Unterrichtsfach, das ihn am meisten frustrierte, vielleicht weil er selbst nicht gut malen konnte. Er brachte den Jungen strenge Perspektive bei, wofür sie ihm später vielleicht mal dankbar sein würden. Er wollte die Wärme von Pauls Körper spüren, lehnte sich an ihn, legte eine Hand auf seine Schulter und sah sich ein verschmiertes »Marmeladenglas mit Mohnblumen« von Priestman an, der allgemein für vielversprechend gehalten wurde. Was die »Sexfront« betraf, wie Neil McAll es gern nannte, war Peters Zeit auf Corley, abgesehen von einer durchzechten Nacht in London, Mitte des Schuljahrs, bisher eine einzige Enttäuschung gewesen. Die dreizehn-, vierzehnjährigen Jungen an seiner Schule hatten eindeutig mehr Spaß, musste er sich zu seiner Schande gestehen. In dem Alter hatte er selbst angefangen und war seitdem dabei geblieben. Er legte Paul eine Hand in den Nacken und drückte leicht zu, Besitzanspruch und Verheißung zugleich. Wieder erschien es ihm seltsam, dass er ihn so begehrte, aber das Rätselhafte daran, das aufzulösen er nicht den geringsten Wunsch verspürte, machte es umso verlockender. In der Kapelle würde er ihn küssen, ihm sicher auch an die Wäsche gehen, es sei denn, Paul legte besonderen Wert auf korrektes Benehmen in Gotteshäusern. »Komm«, sagte er und hakte sich bei ihm unter. Er drehte den Eisenring herum, öffnete leise die Kapellentür, da hörte er das erlahmende Heulen des Harmoniums. »Ach, so ein Mist …«
In der Kapelle dämmerte es früh, und in der Düsternis fiel das magere Licht einer kleinen Blechlaterne auf die verängstigten Gesichtszüge eines Jungen, die so verzerrt waren, dass Peter ihn im ersten Moment nicht
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