Fremden Kind
verstehen«, sagte Paul, »aber das Feuilleton ist ziemlich gut.« Tatsächlich wollte er nur in Erfahrung bringen, mochte sie aber nicht direkt danach fragen, ob sie seine Besprechung von Die kurze Galerie im New Statesman gesehen hatte, einer Zeitung, die sie sehr wahrscheinlich auch nicht in die Hand nahm. Er hatte die Besprechung als eine Geste der Freundschaft verstanden, sich das Beste aus dem Buch herausgepickt, die wenigen kritischen Anmerkungen liebevoll verpackt und einige Fakten richtiggestellt, ganz nützlich für zukünftige Auflagen. Bevor er ein Buch rezensierte, pflegte er aufmerksam alle anderen Kritiken zu lesen, als wäre er selbst der Autor des Buches. Daphnes Memoiren waren entweder von ihresgleichen besprochen worden, manche loyal, manche hämisch, oder von sehr jungen Leuten, die ihre eigenen Maßstäbe anlegten – doch aus allen sprach mehr oder weniger unverhohlen der Verdacht, dass sie einen Großteil erfunden hatte. Paul ärgerte sich zwar, wenn andere Besprechungen auf Fehler hinwiesen, die er übersehen hatte, fühlte sich jedoch dadurch, dass er so nachsichtig mit ihr umgegangen war, nur in seiner Großzügigkeit bestätigt. Durch ihn erfuhr sie bei Weitem die meiste Anerkennung. Beim Schreiben hatte er sich vorgestellt, wie dankbar sie sein würde, ihr verschiedene Formulierungen in den Mund gelegt, sie ausgekostet und wochenlang nach Erscheinen der Besprechung – leider ziemlich gekürzt, doch die Richtung noch deutlich erkennbar – auf einen Brief von ihr gewartet, in dem sie sich erkenntlich gezeigt, ihre alte Freundschaft erwähnt und vorgeschlagen hätte, sich doch mal wieder zu treffen, zum Lunch, den er sich abwechselnd in einem ruhigen Hotel oder ihrem Haus in Blackheath vorstellte, inmitten der Unmengen Erinnerungsstücke ihrer zweiundachtzig Lebensjahre. Die einzige Reaktion auf seinen Artikel war ein Brief von Sir Dudley Valance an den Herausgeber gewesen, in dem er auf einen marginalen Fehler hinwies, der Paul im Zusammenhang mit seinem Roman Die lange Galerie unterlaufen war, auf den, ein pfiffiger Insiderwitz, Daphnes Titel anspielte. Wenn sogar Sir Dudley, der im Ausland lebte, den New Statesman las, dann bekam Daphne ihn vielleicht auch, oder ihr Verleger hatte die Ausgabe an sie weitergeleitet. Paul dachte, dass eine gewisse vornehme Reserviertheit sie davon abgehalten haben könnte, an einen Rezensenten zu schreiben. Sie zog ihre Handschuhe aus. »Sie haben doch sicher nichts dagegen, wenn ich rauche.«
»Überhaupt nicht!«, beeilte sich Paul, und nachdem sie eine Zigarette in ihrer Handtasche gefunden hatte, nahm er ihr das Feuerzeug ab und berührte, als sie sich zur Flamme vorbeugte, für einen Moment sanft ihren Arm. Der herbe, fast angenehme Rauch vertrieb die schlechte Luft, und als sie ihn ausstieß, dabei leicht den Kopf in den Nacken legte, erschienen ihm ihr Gesicht, ja selbst die schimmernden Brillengläser beinahe umgehend wieder so wie vor zwölf Jahren. Er schöpfte neuen Mut. »Ich freue mich sehr, dass ich Sie getroffen habe, denn ich schreibe gerade etwas über Cecil … Cecil Valance«, sagte er kurz auflachend, doch respektvoll. Mit dem genauen Ausmaß seines Vorhabens wollte er lieber nicht herausrücken. »Ich hatte sowieso vor, Ihnen zu schreiben und Sie zu fragen, ob ich Sie mal besuchen dürfte.«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte sie, einigermaßen liebenswürdig. Sie blies mit dem Rauch gegen etwas sehr Fernes an. »Ich habe selbst ein Buch geschrieben. Ich weiß nicht, ob Sie es gelesen haben. Da steht eigentlich alles drin.«
»Ja, ja, natürlich!« Paul lachte erneut. »Ich habe es sogar besprochen.«
»Waren Sie auch so gemein?« Es klang wieder der verschmitzte Ton an, den er schon von ihr kannte.
»Nein. Ich habe es sehr gerne gelesen. Es war toll.«
»Einige haben ziemlich herumgestänkert.«
Er schwieg mitfühlend. Dann sagte er: »Ich dachte nur, es könnte sehr nützlich sein, mal persönlich mit Ihnen zu sprechen – aber natürlich will ich mich nicht aufdrängen. Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gerne mal auf ein Stündchen vorbeikommen.«
Sie runzelte die Stirn und überlegte. »Wissen Sie, ich habe nie so getan, als wäre ich eine grandiose Schriftstellerin, aber ich habe einige sehr interessante Menschen in meinem Leben gekannt.« Ihr leises Lachen klang jetzt leicht verbittert.
Paul tat ihre Kritiker mit einem vagen Laut der Empörung ab. »Das Interview mit Ihnen im Tatler habe ich natürlich auch gelesen, aber
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