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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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sich niemals anmerken zu lassen, dass er sich nicht auskannte; lieber verlaufen als nach dem Weg fragen. Die Recherche im Gelände, das seltsame Herzrasen beim Betreten des Terrains, auf dem sich die Person, über die man forscht, einst bewegt hat – zum ersten Mal verspürt, als Peter ihn nach Corley Court eingeladen und ihm Cecils Grab gezeigt hatte –, war sein geheimer Lotse. Gleichmäßigen Schrittes trabte er los inmitten der Einkaufsbummler und Büroangestellten, die in der Mittagspause auf ein Pint gingen, und verfolgte zielstrebig sein Anliegen. Niemand wusste, wer er war, was er vorhatte, ahnte auch nur den weiter gefassten Rhythmus seines Tages, der über ihren Trott hinausging. Er bedeutete auch Freiheit, mit all ihrer kribbelnden Unruhe, schließlich war er selbst früher in so einem Trott eingebunden gewesen.
    Der Anfang von Stanmore Hill glich einer Dorfstraße, doch weitete sie sich bald zu einer langen, gleichmäßig ansteigenden Ausfallstraße aus, die an diesem Novembertag bereits trostlos wirkte. Er kam an den Abercorn Arms vorbei, einem Pub, der ebenfalls in einem der erhalten gebliebenen Briefe von Cecil an George erwähnt wurde. Die Jungen hatten dort ein Pint getrunken. Ein Besuch hätte seinen Reiz gehabt, schon aus Recherchegründen, aber Paul hatte Hemmungen, allein einen Pub zu betreten, und entschlossen zog er weiter die Straße hinauf. Jungen musste man sie nennen, denn als George Cecil kennenlernte, war er nur halb so alt wie Paul heute, dennoch schienen sie ihr Leben aus eigener Kraft, unbefangen, für sich in Anspruch zu nehmen, wie Paul es nie vermocht hatte. Oben auf dem Hügel erhob sich über einem robusten Sockel ein kleiner Uhrturm mit Wetterfahne, halb verdeckt von Bäumen, und obwohl er sicher war, dass es sich dabei niemals um »Two Acres« handeln konnte, erschien er doch wie dessen Vorbote.
    Danach flachte die Straße ab; weiter hinten lag ein lang gestreckter, schwarzer, von zerzausten Bäumen umstandener Teich, dort fing der Stanmore Common an. Eine Frau führte ihren Hund spazieren, einen erschreckend großen weißen Pudel, und da sie die einzigen Spaziergänger weit und breit waren, fühlte sich Paul beobachtet. Er bog in eine Nebenstraße ein und dachte, dass er die Frau hätte fragen können, stattdessen wanderte er zehn, fünfzehn Minuten ein Netz kleiner Gassen und Wege ab, die nichtsdestoweniger etwas Geheimnisvolles hatten; zwischen den fast kahlen Bäumen stand niedrig die Sonne, noch mehr trübe Teiche waren zu sehen, weiter hinten Waldböschungen, und hier und da, halb verborgen hinter Hecken, Zäunen und großen Gärten, zahlreiche Häu ser. Er wünschte, er würde sich besser auskennen mit Architektur und könnte einschätzen, wie alt sie waren. George Sawle sagte, Two Acres sei aus rotem Backstein, in den Achtzehnhundertachtzigerjahren erbaut; sein Vater habe es 1890 dem ersten Besitzer abgekauft und seine Mutter es 1920 weiterverkauft. Paul las im Vorbeigehen die Namen der Häuser: »The Kennels« … »Old Charlocks« … »Jubilee Cottage«. Hatte er Two Acres übersehen? Er dachte an die Prüfungen, über die er gerade in einem frühen Brief von Cecil aus seiner Anfangszeit am Marlborough College gelesen hatte, in der seine Kenntnisse der Örtlichkeiten, ebenso die Bedeutung verschiedener alberner Namen von einem älteren Schüler abgefragt wurden. »Ich habe alles gewusst«, hatte Cecil seiner Mutter geschrieben, »außer Cotton’s Kish, und dafür, dass er mir dieses grundlegende Wissen nicht in meinen regen Verstand eingeprügelt hat, verdient Daubeny nun vierzig Schläge. Ich befürchte, dass Du das ungerecht findest.«
    Er war fast wieder an der Hauptstraße angelangt, da kam ihm die Frau mit dem Pudel entgegen. Sie lächelte ihm kurz verkniffen zu – ein Mann mit einer Aktentasche, der nachmittags hier umherstreifte. »Sie sehen aus, als hätten Sie sich verirrt«, sagte sie.
    »Ich komme schon zurecht«, sagte Paul und deutete mit einem Kopfnicken auf die Straße vor ihm. »Aber vielen Dank!« Und dann, als sie schon weitergegangen war: »Ach, eigentlich … entschuldigen Sie … Ich suche ein Haus, das Two Acres heißt.«
    Sie blieb stehen und drehte sich um, der Hund zerrte an seiner Leine. » Two Acres? Nein … Das kenne ich nicht. Sind Sie sicher, dass es hier in der Gegend ist?«
    »Ja, ziemlich sicher«, sagte Paul. »Ein berühmtes Gedicht wurde darüber geschrieben.«
    »Mit Gedichten habe ich es leider nicht so.«
    »Ich dachte,

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