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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Dirigent!«
    »Ja, ja, ich habe schon von ihm gehört«, sagte Cecil. »Aber ich muss Ihnen gleich sagen, ich habe kein Ohr für Musik.«
    »Oh«, sagte Daphne und sah auf sein linkes Ohr, das braun war und sonnenverbrannt. »Ich dachte immer, Dichter hätten ein gutes Ohr«, fuhr sie überrascht von ihren eigenen klugen Worten fort.
    »Gedichte kann ich verstehen«, sagte Cecil. »Aber ein musikalisches Gehör hat keiner von uns in der Familie. Der General ist deswegen beinahe mal verrückt geworden. Nach einem Besuch der Gondolieri meinte sie nur: ›Nie wieder. Ich dachte, die Oper hört gar nicht mehr auf!‹«
    »Wenn das so ist, mag sie Wagner bestimmt nicht«, sagte Daphne, und ihre anfängliche Enttäuschung schlug in wohlwollende Überlegenheit um. Dennoch zweifelte sie, dass sie voll erfasst hatte, was er meinte. »Aber die Musik vom Grammofon gestern Abend hat Ihnen doch gefallen.«
    »Ja, schon, ich finde sie nicht abstoßend, aber sie perlt an mir ab. Ich habe nur die Gesellschaft genossen.« Sein Ohr wurde rot, und sie verstand, dass man ihr möglicherweise ein Kompliment gemacht hatte, und errötete selbst ein wenig. »Hat Ihnen die Oper Spaß gemacht?«
    »Sie hatten extra einen Schwimmapparat für die Rheintöchter konstruiert, aber das hat mich nicht sehr überzeugt.«
    »Das muss Schwerstarbeit sein, zu schwimmen und gleichzeitig zu singen«, sagte Cecil und blätterte die Seite um. »Wer ist denn diese byzantinische Figur?«
    »Das ist Mr Barstow.«
    »Muss man den kennen?«
    »Er ist der Pfarrer von Stanmore«, sagte Daphne, ungewiss, ob sie die kunstvolle Handschrift beide gleichermaßen bewunderten.
    »Ach so. Und wen haben wir hier? Olive Watkins. Das kann man auf zwanzig Schritt Entfernung lesen.«
    »Eigentlich wollte ich sie nicht aufnehmen, weil es nur für Erwachsene gedacht ist, aber sie hat mir ihres auch gegeben.« Unter ihrem Namen hatte Olive noch mit hohem Kraftaufwand »Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot« geschrieben, was auf die nächste Seite durchgeschlagen war. »Sie hat die beste Sammlung von allen, die ich kenne«, sagte Daphne. »Sogar Winston Churchill.«
    »Sieh an«, sagte Cecil respektvoll.
    »Ja.«
    Cecil blätterte ein paar Seiten weiter. »Dafür haben Sie Jebland. Das ist auch etwas Besonderes.«
    »Mein Zweitbester«, gestand Daphne. »Er hat es mir in der Woche, bevor sein Propeller aussetzte, geschickt. Gerade noch rechtzeitig. Bei Fliegern darf man nicht warten, das weiß ich jetzt. Die sind nicht wie andere. So ist Olive der Stefanelli entgangen.«
    »Hat Olive auch einen Eintrag von Jebland?«
    »Nein, Jebland hat sie nicht«, antwortete Daphne und versuchte, ihren Triumph aus Pietät gegenüber dem toten Piloten zu unterdrücken.
    »Ziemlich morbide Gesellschaft, wie ich sehe«, sagte Cecil. »Sie machen mir Angst.«
    »Ach, alle anderen hier drin leben noch.«
    Cecil schlug das Buch zu. »Überlassen Sie es mir, und ich ver spreche, dass ich mir etwas einfallen lasse, bevor ich abreise.«
    »Von mir aus ruhig auch ein paar Verse, wie Sie wollen.« Sie trat vor den Stuhl und stand Cecil nun von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er griff wieder zu seinem eigenen Büchlein, blinzelte im starken Gegenlicht und lächelte angespannt. Sie spürte, dass sie ihm gegenüber momentan im Vorteil war und sah sich berechtigt, seinen geöffneten Mund und seinen kräftigen gebräunten Hals, der aus dem weichen blauen Hemd ragte, freimütig betrachten zu dürfen. Bestimmt wollte er jetzt ein Gedicht schreiben, der Bleistift im Buchrücken wartete bereits. Sie konnte ihn das unmöglich fragen, aber ihn hier allein lassen konnte sie auch nicht. »Haben Sie sich schon einen Überblick über den Garten verschafft?«
    »Ja, stellen Sie sich vor. Heute Morgen habe ich gleich als Erstes mit George einen Streifzug unternommen.«
    »Oh.«
    »Lange bevor Sie aufgestanden sind. Ich bin in sein Zimmer gegangen und habe ihn aus dem Bett geworfen.«
    »Ach so.«
    »Ich bin Heide, müssen Sie wissen, und ich bete die Mor gendämmerung an. Ich versuche, Ihrem Bruder diesen Kult beizubringen.«
    »Ich bin gespannt, wie weit Sie damit kommen.« Cecil schloss träge die Augen und lächelte, sodass sie erneut den Eindruck hatte, es würde etwas vor ihr geheim gehalten. »Könnten Sie mich morgen auch aus dem Bett werfen?«
    »Was würde wohl Ihre Mutter davon halten?«
    »Ach, die hätte nichts dagegen.«
    »Mal sehen.«
    »Ich könnte Ihnen alles Mögliche zeigen.« Sie befühlte

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