Fremden Kind
ging ja noch an, aber sich über die Heiratsaussichten einer Dame mittleren Alters auszulassen, die er kaum kannte, war völlig unangebracht. Außerdem war ein Stiefvater das Letzte, was sie sich wünschte. Sie stellte sich Harry Hewitt vor, wie er oben auf dem Hügel des Steingartens stand, schlimmer noch, seine Zerstörung anordnete. Obwohl, sehr wahrscheinlich, nein, ganz bestimmt sogar müssten sie dann alle nach Mattocks umziehen, mit seinen putzigen Bildern und Skulpturen. Sie starrte Cecils weiße Leinenschuhe an und dachte angestrengt nach. Er drängte sie nicht zu einer Antwort. So miteinander zu reden war neu für sie, und sie merkte, dass sie dazu noch nicht bereit war, so wie für manche Bücher, die zwar in ihrer Sprache geschrieben waren, aber für Erwachsene gedacht, und die sie nicht verstand.
»Ich wollte nicht neugierig erscheinen. Sie wissen, Georgie und ich und Leute wie wir genieren uns nicht, ganz offen zu reden.«
»Schon gut.«
»Sagen Sie ruhig, dass es mich nichts angeht.«
»Also, ich glaube, der Mann, der heute Abend zum Dinner kommt, mag meine Mutter sehr«, sagte sie, und das Gefühl, einen Verrat begangen zu haben, trübte die nächsten Sekunden.
»Harry?«
»Ja, der«, sagte sie und schämte sich noch mehr.
»Der Mann, der euch das Grammofon geschenkt hat.«
»Ja, ja. Er hat uns schon alles Mögliche mitgebracht. Hubert hat er ein Gewehr geschenkt, ach, … viele Sachen. Die gesammelten Werke von Sheridan.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass Huey einige dieser Ge schenke mehr zu würdigen weiß als andere«, sagte Cecil ungezwungen und wie beiläufig.
»Mir hat er ein Frisierset geschenkt, mit einer Parfümflasche, für die ich noch nicht alt genug bin, und silberbeschlagenen Bürsten.«
»Der Weihnachtsmann persönlich«, sagte Cecil, und weiter, sich mit gepflegter Langeweile umschauend: »Muss ja ein lus tiger Kerl sein.«
»Hm. Er ist sehr großzügig, aber lustig kein bisschen. Sie werden sehen.« Sie blickte zu ihm auf, seltsamerweise noch immer empört über ihn und Harry, doch Cecil sah hinüber zu dem Gehölz, wo sie sich gestern Abend getroffen hatten, als gäbe es dort Faszinierenderes zu beobachten. »Er fährt oft nach Deutschland, auf Geschäftsreise, Import-Export. Von da bringt er uns viel mit.«
»Und Sie glauben, mit all diesen Geschenken will er Ihrer Mama den Hof machen?«, fragte Cecil.
»Das befürchte ich.«
Cecils prächtiges Profil, die cäsarische Nase und die leicht hervortretenden Augen, verharrte wie zur Begutachtung, doch als er sich Daphne lächelnd zuwandte, waren seine ganze Aufmerksamkeit und Freundlichkeit wieder präsent. »Aber mein liebes Kindchen, solange sie seine Gefühle nicht erwidert, haben Sie nichts zu befürchten.«
»Ach, ich weiß nicht!« Sie war aus der Fassung gebracht, durch den weiten Vorstoß im Gespräch und durch das unerwartete Kindchen . Ihre Mutter nannte sie so, was eigentlich nur natürlich, doch meist mit Kritik verbunden war. Erst gestern Abend hatte sie es wieder zu hören bekommen, als sie Cecil Fragen gestellt hatte, damit er sich heimisch fühlte. Er musste es aufgeschnappt haben. Sie hatte das Gefühl, rhetorisch sehr unfein übervorteilt worden zu sein – in der Absicht, sie aufzumuntern, hatte er sie im selben Moment gedemütigt.
Cecil lachte. »Wissen Sie, was? Ich werde ihn mal unter die Lupe nehmen – als Außenseiter, der ich bin –, und dann sage ich Ihnen, was ich von ihm halte.«
»Na gut«, lenkte Daphne ein, wenig überzeugt von dem Kompromiss.
»Ah!«, sagte Cecil und lehnte sich vor. George kam, das Jackett über die Schulter geworfen, fröhlich pfeifend über den Rasen geschlendert. Er trat auf sie zu und sah, mit einer versteckten Frage in seinem Lächeln, auf sie hinunter.
»Was pfeifst du da eigentlich immer vor dich hin?«, wollte Daphne wissen.
»Weiß ich auch nicht«, sagte George. »Ein Liedchen, das mein Bursche im College immer summt. ›When I see you, my heart goes boomps-a-daisy‹.«
»Also wirklich! Ich finde, wenn du schon pfeifen musst, hättest du dir wenigstens was Hübsches aussuchen können«, sagte Daphne und ergänzte, eine Gelegenheit witternd, wieder auf das Thema von gestern Abend zu sprechen zu kommen: »Zum Beispiel Der fliegende Holländer .«
George legte eine Hand aufs Herz und setzte zu der sanfteren Passage aus Sentas Ballade an, schmachtete dabei seine Schwester mit weit aufgerissenen Augen an und wiegte den Kopf langsam hin und her, als wollte
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