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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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sollen bloß die Cosgroves denken?«
    »Mutter hat auch schon vor der Bekanntschaft mit Mrs Kalbeck gerne Wagner gehört«, sagte Daphne.
    »Darling, wir alle lieben Wagner, aber die Musik wiederholt sich selbst schon oft genug, da muss man dieselbe Platte nicht auch noch dreimal hintereinander spielen.«
    »Das ist Sentas Ballade«, sagte Daphne, die auch beim dritten Mal nicht immun war gegen die Musik, ja, hier draußen plötzlich noch stärker von ihr ergriffen wurde, als schwebte sie in der Luft, wäre Teil der Natur und verlangte von allen, dass man ihr zuhörte und Anteil nahm. Von hier aus klang das Orchester noch besser, wie eine echte Kapelle, die weit weg spielte, und Emmy Destinn sang noch ungestümer und intensiver. Für einen Moment hatte sie die Vorstellung, das erleuchtete Haus hinter ihnen sei ein Schiff in der Nacht. »Cecil«, sagte sie zärtlich und sprach seinen Namen zum ersten Mal aus, »Sie verstehen die Worte doch, oder?«
    »Ja, ja, klar wie Kloßbrühe«, antwortete Cecil mit einem freundlichen, doch befremdlichen Prusten.
    »Sie ist ein verrücktes Mädchen und verliebt in einen Mann, den sie noch nie gesehen hat«, erklärte George. »Der Mann steht unter einem Fluch und kann nur durch die Liebe einer Frau erlöst werden. Sie stellt sich vor, sie sei diese Frau. Das ist alles.«
    »Man spürt gleich, dass das nicht gut ausgeht«, sagte Cecil.
    »Oh, hört doch nur …«, sagte Daphne.
    »Möchten Sie?«, fragte Cecil.
    Daphne, die gerade erst begriff, was George ihr über Senta eröffnet hatte, stützte sich an dem Spannseil ab. »In die Hängematte?«
    »Die Zigarre probieren.«
    »Also wirklich«, murmelte George ein wenig schockiert.
    »Ach, lieber nicht!«
    Cecil führte ihr vor, wie man rauchte. »Ich weiß, dass Mädchen eigentlich nicht rauchen sollen.«
    Voller Verlangen und Trotz und im unerwarteten Aufeinandertreffen mit dieser Umgebung noch schöner, strömte jetzt die grandiose Melodie durch den Garten. Daphne wollte überhaupt nicht an der Zigarre ziehen, befürchtete aber, eine Gelegenheit zu verpassen. Sie konnte sicher sein, dass keine ihrer Freundinnen das je probiert hatte.
    »Aber Sie haben recht, es ist ein schönes Lied«, sagte Cecil, dessen Worte etwas nachlässig und verschliffen herauskamen. Jetzt reichte er die Zigarre wieder weiter an George.
    »Na gut«, sagte sie.
    »Was?«
    »Ich meine, ich möchte doch mal probieren, bitte.«
    Sie beugte sich hinunter zu George und spürte die ganze Hängematte beben, hielt sich am Arm ihres Bruders fest, um ihm den Stängel, der, verrucht und abstoßend, zwischen sei nem Daumen und Zeigefinger klemmte, abzunehmen. Die bei den Jungen lümmelten zusammengequetscht in dem durch hängenden Netz, wie sie jetzt undeutlich erkannte, etwas albern, ziemlich betrunken, doch auch irgendwie solide und in sich gefestigt, und das Bild erinnerte sie an ihre Eltern, aufrecht im Bett sitzend. Der Geruch stieg ihr in die Nase, noch ehe sie etwas schmeckte, beinahe hätte sie gehustet, und rasch, voller Scham und Reue und Pflichtgefühl, stülpte sie ihre Lippen über das Mundstück.
    »Oh!« Sie stieß den Stängel weg und hustete rau nach dem ersten Inhalieren. Der bittere Rauch war grässlich, und so fühlte sich auch der Stängel an, an den Fingern trocken, an den Lippen und auf der Zunge feucht und bröselig. George nahm ihn ihr leicht vorwurfsvoll lachend ab. Beim nächsten Hustenanfall wandte sie sich zur Seite und benahm sich noch weniger damenhaft und spuckte kräftig auf den Boden. Sie wollte das Zeug aus dem Körper haben. Sie war froh, dass es dunkel war, und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Emmy Destinn hinter ihr, in dem freundlichen vertrauten Heim, sang unermüdlich weiter und ignorierte Daphnes Benehmen geflissentlich.
    »Möchten Sie noch mal ziehen?«, sagte Cecil, als hätte ihn ihre Reaktion nach dem ersten Zug überzeugt.
    »Lieber nicht!«, sagte Daphne.
    »Der zweite wird Ihnen viel besser schmecken.«
    »Das möchte ich bezweifeln.«
    »Und der dritte erst!«
    »Bevor du dich versiehst«, sagte George, »läufst du mit einem stinkenden Stumpen zwischen den Zähnen durch Stanmore.«
    »Riecht es hier nicht verdächtig nach Miss Sawles Zigarre?«, scherzte Cecil.
    »So weit wird es wohl nicht kommen«, sagte Daphne.
    In Wahrheit nämlich war sie im Moment ganz glücklich, stand nur da und blickte irgendwie abwägend in die verqualmte Dunkelheit. »Ist Ginger-Brandy eigentlich ein starkes Getränk?«,

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