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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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wollte sie wissen. Es musste der Drink sein, der ihr diese herrliche Spontaneität verlieh; sie sprach und sie bewegte sich, ohne nachzudenken.
    »Herrje, Daph«, sagte George. Ehe sie wusste, was sie anrichtete, hatte sie sich, keuchend und lachend, am Fußende auf die Matte gehievt.
    »Pass auf!«, sagte George. »Mein Fuß!«
    »Sie werden das verdammte Ding noch herunterreißen!«, sagte Cecil.
    »Um Himmels willen!«, rief George, kippte bei dem Versuch herauszuspringen zur Seite, riss Daphne mit einem Ruck zu Boden, und Cecil kullerte hinterher, wobei sein Fuß sie erwischte und ihr kräftig in die Rippen stieß.
    »Au!«, rief sie vor Schmerz, und noch mal: »Au!«, doch Schock und Schreck ließen sie kalt, und als die Jungen sich tapsig gegenseitig aufhalfen, lachte sie schon wieder und ließ sich ebenfalls aufhelfen. Ihr Shawl war gerissen, das hatte sie noch gehört, und sie wusste, dass dies die einzige Folge ihrer Eskapade sein würde, mit der sie nicht so einfach davonkäme, aber auch das kümmerte sie nicht sonderlich.
    »Vielleicht sollten wir doch lieber reingehen«, schlug Cecil vor, »bevor noch etwas wirklich Skandalöses passiert.«
    Mit aufmunterndem Schulterklopfen und gutem Zureden scheuchten sie sich gegenseitig über den Rasen. George brauch te noch einen Moment, um sich das Hemd einzustecken und die Hose glatt zu streichen. »Auf Corley habt ihr ja ein Rauchkabinett«, sagte er. »So etwas wie eben könnte uns da also nicht passieren.«
    »Allerdings«, sagte Cecil ernst. Emmy Destinn hatte ihre Ballade beendet, und stattdessen sah Daphne die Gestalt ihrer Mutter vor die erleuchtete Terrassentür treten und vergeblich in die Nacht blicken.
    »Hier sind wir!«, rief Daphne. In der Dunkelheit, unter den Tausenden von Sternen, die beiden Jungen an ihrer Seite, meinte sie, für sie alle drei sprechen zu dürfen; die heitere Geborgenheit um sie herum schien wie eine Erneuerung ihres wortlosen Bündnisses von heute Nachmittag, als Cecil angekommen war.
    »Beeilt euch«, sagte ihre Mutter in einem gespielt gehetzten Ton. »Ich möchte, dass Cecil uns vorliest.«
    »Da haben wir’s«, murmelte Cecil und zupfte seine Fliege zurecht. Daphne sah zu ihm auf. George übernahm verantwortungsvoll die Führung und ging voraus, und während sie ihm folgten, legte Cecil einen Arm um sie und ließ seine große warme Hand auf der Stelle liegen, wo er sie getreten hatte, bis sie die geöffnete Terrassentür erreichten.

7
    N ach dem Frühstück am nächsten Morgen fand sie Cecil draußen auf dem Rasen, er saß in einem Liegestuhl und schrieb etwas in ein braunes Büchlein. Sie setzte sich auf ein Mäuerchen unweit von ihm, neugierig, einem Dichter bei der Arbeit zuzuschauen, und gerade nahe genug, um ihn abzulenken. Nach kurzer Zeit wandte er sich ihr zu, lächelte und klappte das Büchlein mit eingelegtem Bleistift zu. »Was haben Sie da?«
    Sie hielt ebenfalls ein kleines Buch in der Hand, ein in malvenfarbene Seide gebundenes Poesiealbum. »Ich weiß nicht, ob ich Sie damit belästigen darf.«
    »Darf ich mal sehen?«
    »Wenn Sie möchten, können Sie auch einfach nur Ihren Namen hineinschreiben. Obwohl ich natürlich …«
    Cecils langer Arm und seine stark geäderte Hand schienen sie förmlich zu sich herabzuziehen. Errötend und mit ge mischten Gefühlen, Stolz und Unzulänglichkeit, hielt sie ihm das Buch hin. »Ich führe es erst seit einem Jahr.«
    »Wen haben Sie denn schon?«
    »Arthur Nikisch zum Beispiel. Das ist der beste Eintrag.«
    »Aha. Oh!«, sagte Cecil mit einer fröhlichen Bestimmtheit, die nur ein gewisses Maß an Unsicherheit verbarg. Sie beugte sich über die Rückenlehne des Stuhls, um ihn zu der gesuchten Seite zu lotsen. Heute Morgen führte er sich auf wie ein Onkel, vertraulich, doch ohne auch nur den leisesten Hauch von Intimität. Das gestrige Gerangel hatte anscheinend nie stattgefunden. Wieder bemerkte sie seinen spezifischen Geruch, als wäre er soeben von einem seiner Streifzüge oder einer Klettertour zurückgekehrt, die sie sich als ziemlich ungestüme Unternehmungen vorstellte. Typisch Jungs, sie hielten was auf ihre Würde, ständig verwehrten sie einem den Zutritt zu einer interessanten Szene, in die sie einem eben noch Einblick gewährt hatten. Vielleicht warf er ihr auch die gestrige Alberei vor.
    »Seine Unterschrift habe ich mir geholt, als wir Das Rheingold gesehen haben.«
    »Ah, ja. Er ist eine ziemlich große Nummer, nicht?«
    »Herr Nikisch? Das ist der

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