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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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eigener Brief steckte unter einem bunten Beschwerer aus Glas. Paul holte das Aufnahmegerät aus der Aktentasche und brauchte eine Minute, um den Ständer und das Mikrofon aufzubauen; Jonah erschien es wohl genauso dreist wie neuartig, und Paul erklärte: »Jedes Wort von Ihnen ist mir wichtig«, was Jonah mit einem misstrauischen Lächeln akzeptierte. Paul drückte den Aufnahmeknopf. »Wie geht es Ihnen heute?«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    Karen, als ausgebildete Sekretärin, bot Paul an, die Aufnahmen auf ihrer Kugelkopfschreibmaschine zu transkribieren, und nach zwei zermürbenden Abenden sporadischen Klapperns und dem Geräusch von abrupt abbrechenden und sich wiederholenden Männerstimmen, das schwallartig in Fünfsekundenabständen aus ihrem Zimmer tönte – wobei er seine eigene Stimme, seinen unvermuteten Provinzakzent mit dem rollenden R , kaum wiedererkannte –, kam sie nach unten und übergab ihm einen dicken Stapel Papier. »Bei einigen Stellen war ich mir nicht sicher«, sagte sie. »Wenn ich raten musste, habe ich die Wörter in Klammern gesetzt.«
    »Oh, okay«, sagte Paul lächelnd, als sei das nicht weiter schlimm, und nahm die Unterlagen rasch mit auf die Suche nach seiner Brille. Auf den ersten Blick sah die Abschrift sehr professionell aus, doch gab es ein ernstes Problem. Sie hatte alles in eine schmale Spalte geschrieben, wie in einem Drehbuch, allerdings zu einem Stück absurden Theaters, aus Pausen und wechselseitigen Missverständnissen. »Die Bänder haben wir doch noch, oder?«, fragte Paul. »Solche Sachen möchte ich fürs Archiv aufheben.«
    »Ich glaube, das Tonbandgerät ist nicht das allerbeste.«
    »Es war ziemlich teuer.«
    »Jonah ist deutlich zu vernehmen, du bist nur manchmal sehr schwach.«
    »Das Mikrofon war auf ihn gerichtet. Wichtig ist, was er sagt.«
    Der springende Punkt war natürlich, dass Karen häufig die Fragen nicht hatte verstehen können. Er las eine beliebige Stelle.
    PB:Hat George Sawle ( unverständlich) ?
    JT:Oh, nein, überhaupt nicht.
    PB:Wirklich? Ist ja interessant!
    JT:Oh, meine Güte, nein! (lacht gackernd)
    PB:Und hatte wenigstens Cecil etwas (unverständlich: Glück, Erfolg?)
    JT:Ja, könnte sein. Obwohl ich nicht glaube, dass das jemand weiß!
    PB:Die Familie ganz sicher nicht! Wer rechnet schon mit so was! (kichert)
    Karen hatte Ausrufezeichen recht freizügig verwendet und Shaw’sche Regieanweisungen (kichert, hält bedauernd inne, plötzlich aufbrausend) hinter ganz banale Aussagen gestellt. Sie hatte nur behilflich sein wollen, war ganz erpicht darauf und – wie das häufig geschieht – behinderte die Arbeit dadurch eher. Manchmal kam ihnen Jonahs Schwerhörigkeit entgegen, wenn er Paul bat, eine Frage lauter zu wiederholen. An anderen Stellen konstatierte Paul erschrocken, dass ihm das als unverständlich markierte Wort schon entfallen war; manchmal auch hatte er sich ganz auf das Tonbandgerät verlassen, zum Beispiel, als Jonah vom Krieg erzählte, von Dingen, die für das Buch unerheblich waren. Vielleicht hatte ihm auch die Aufregung das Zuhören schwer gemacht. Interessiert hatte ihn einzig und allein, was Jonah über Cecils Beziehung zu Daphne und George wusste; und das unangenehme Gefühl, strategisch vorgehen zu müssen, um unauffällig den richtigen Moment zu erwischen, hatte ihn abgelenkt und seine Konzentration beeinträchtigt. Und so sah er sich tags darauf, als Karen zur Arbeit gegangen war, genötigt, die Bänder noch mal abzuspielen und mit dem Manuskript zu vergleichen, um zu sehen, ob sich Überhörtes oder Missverstandenes ergänzen beziehungsweise korrigieren ließ. Er hatte das miese Gefühl, dass sein Projekt keinen guten Anfang genommen hatte.
    Er hatte zugelassen, dass Jonah über weite Strecken des Interviews vom Thema Cecil abgekommen war und ganz allgemein über das Leben »früher« schwadronierte, sein Leben nach dem Krieg bei Harry Hewitt, einem reichen Geschäftsmann, den er eindeutig sehr viel lieber gemocht hatte als die Sawles. Die Sawles hatten auf irgendeine unergründliche Weise sein Missfallen gefunden, welches die längst vergessenen Umstände, die dazu geführt hatten, überdauerte.
    PB:Wollen Sie damit sagen, dass Freda zu viel trank?
    JT:Ich weiß nicht, ob es zu viel war.
    PB:Aber woher wussten Sie das denn?
    JT:So was weiß man eben. In der (undeutlich: Küche?) wurde geredet, sie habe eine Schwäche.
    PB: Eine Schwäche? Ach so.
    JT:Ihr Dienstmädchen Mrs Masters ( ?nachprüfen ) hat ihr das Zeug

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