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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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akribischen Fußnote versehen: »Jonah Trickett (geb. 1898), der ›Hausdiener‹ auf Two Acres, war als Kammerdiener für CV eingewiesen worden; stand von 1912 bis 1915 in Diensten von FS , danach Soldat im Middlesex-Regiment; ab 1919 Gärtner und Chauffeur bei H. R. Hewitt (siehe auch S. 137, 139, Fußnote).« Am Telefon wusste Paul zunächst nicht, ob Jonah sein Anliegen verstanden hatte. Er ging auf seinen Wunsch, ihn aufsuchen zu dürfen, ein, hörte sich aber immer noch irgendwie beleidigt an, dass jemand so etwas überhaupt für nötig befand. »Sie sind einer der wenigen noch lebenden Menschen, die Cecil Valance gekannt haben!«, sagte Paul. Das war ja das Wunder: Einundachtzigjährige gab es viele auf der Welt, aber außer ihm niemanden mehr, der die persönlichen Gegenstände des 1916 verstorbenen Dichters in Händen gehal ten hatte, ihm beim An- und Auskleiden behilflich gewesen war und alle Aufgaben eines Kammerdieners für ihn verrichtet hatte. »Ach, ja? Na, dann«, sagte die schneidende alte Stimme, »wenn Sie meinen …«, als dämmerte ihm langsam, welch wichtige Rolle er bei dieser Geschichte möglicherweise spielte.
    Es war wieder eine Weltreise, quer durch Middlesex, siebenundzwanzig Stationen bis Edgware, Endstation der Northern Line; eine beruhigende, beständig schrumpfende Ewigkeit, in der Paul die Fragen einstudierte, die er ihm stellen wollte, sich die Antworten ausmalte und die möglichen Nachfragen, die sich daraus ergaben. Von sich aus würde Jonah vermutlich nicht viel preisgeben, er müsste ihn schon aus der Reserve locken, ihm auf die Sprünge helfen, sich bewusst zu werden, was er wirklich zu sagen hatte. Die Aussicht auf das Interview machte ihn nervös, als führe er zu einem Bewerbungsgespräch. In seiner Aktentasche steckte ein Brief von Peter Rowe, den er heute Morgen, als er kam, noch nicht gelesen hatte. Er öffnete ihn jetzt im Wintersonnenlicht des leeren Zuges mit einem unguten Gefühl. Der Umschlag enthielt eine Kunstpostkarte, bei Peter unweigerlich ein altes Gemälde, vorzugsweise von einem nackten Mann, diesmal ein heiliger Sebastian von einem der zahllosen italienischen Maler, von denen Paul noch nie gehört hatte. Der Text, in kleiner brauner Schrägschrift, lautete:
    Liebster! Es hat mich getroffen, wie ein Pfeil direkt unterm Herz, als ich hörte, dass Du an einer Biografie über CTV arbeitest. Seitdem ist der Schmerz ein wenig abgeklungen. Das ist das Buch, das ich immer schreiben wollte, irgendwann, obwohl ich mir nicht so sicher bin, dass es so gut geworden wäre, wie Deins ganz sicher werden wird. Allerdings habe ich das Gefühl, dass meine Hand im Spiel ist – immerhin war ich es, der Dich an einem Abend vor langer Zeit an das Grab des Dichters geführt hat. Würde mich gerne mit dir unterhalten – ich habe da so meinen Verdacht, was den guten Cecil betrifft, dem es lohnt nachzugehen!
    Sempre, P.
    PS . Im März erscheint mein Buch
    Paul wünschte, er hätte die Karte nicht gelesen; schon allein Peters Handschrift, die rasch über alles, auf das sie sich senkte, Kulturhoheit erlangte, machte ihm Angst. Auch der Sebastian, ein stämmiger, an einen Baum geketteter, perspektivisch gemalter Traumprinz, in allem das Gegenteil von Peter, war dennoch wie eine unheimliche Erinnerung an Pauls früheres Leben, als Peter noch eine Rolle darin spielte, und an den kritischen Sommer 1967. Jetzt erschien Peters eigenes Buch über viktorianische Kirchen, eine Fernsehserie war in Planung, und gelegentlich hielt er Vorträge auf Radio 3. Paul dachte an ihn mit gemischten Gefühlen, Neid, Bewunderung und Bedauern.
    Arnold Close war eine Siedlung aus kleinen Reihenhäusern mit Kieselrauputz, dahinter Sportplätze. Paul näherte sich dem zweiten Haus in der Reihe und entriegelte scheu aber entschlossen das Gartentörchen. Im Vorgarten war alles braun, er war winterfest gemacht, nur ein paar rosa Knospen hatten den Frost überlebt. Paul gab vor, nicht durchs Fenster ins Wohnzimmer zu gucken, wo eine Lampe brannte und auf der Fensterbank gerahmte Fotos standen, mit dem Rücken zu ihm. Das Haus schien so wachsam wie wehrlos. Er hoffte, etwas Wertvolles darin zu bergen – und ihm im Gegenzug etwas zurück zugeben, etwas von Belang und Bedeutung, was es von anderen unterscheiden würde und von dem es bislang nichts wusste.
    Er hob den Türklopfer an und ließ ihn versehentlich mit einem lauten Krach wieder fallen. Dumpf registrierte er, dass die Tür mit den vier Butzenscheiben über

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