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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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wussten nicht, was sie bei einem Interview erwartete, genauso wenig wie er. Jonah deutete zur Küche. Gillian hatte sie blitzblank hinterlassen, den Spüllappen um die beiden Wasserhähne gewickelt. Durch das Fenster sah Paul in den Garten, ein kleines Gewächshaus, jenseits einer Ligusterhecke den weißen Rahmen eines Fußballtors. Wieder ein Raum, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Er trank das kalte Wasser in kleinen Schlucken, kurzzeitig in eine unerwartete Trance versunken, als sähe er die Jahrzehnte, eins nach dem anderen, durch dieses Haus ziehen, das Fleckchen Garten, Schuljahre, Lebensjahre, immer wieder neue Generationen schreiender Jungen, und Jonahs langes Leben mit all seinen Gewohnheiten und Pflichten, Frau und Tochter, all diesem unbeachteten, aber beruhigenden Krimskrams in Küche und Wohnzimmer – da waren Gedanken an Cecil Valance so selten wie Urlaube. Auf dem Band, das in Pauls Abwesenheit weitergelaufen war, hörte er später Jonah in der nächsten Umgebung des Mikrofons Dinge verrücken, mit sich selbst reden, unwillkürlich flüstern und einen leisen melodiösen Furz von sich geben.
    PB:Wie war Cecil so, zusammen mit George Sawle?
    JT:Wie er war?
    PB: ( unverständlich) Wie er mit George umgegangen ist.
    JT:Ich verstehe nicht, was Sie meinen. (lacht nervös)
    PB:Sie waren doch eng befreundet, oder nicht?
    JT:Ich glaube, er hat ihn auf dem College kennengelernt. Aber das weiß ich nicht genau.
    PB:Haben Sie denn nicht mit den Sawle-Kindern verkehrt?
    JT:Du liebe Güte, nein! (lacht keuchend) Nein, nein, das war überhaupt nicht üblich.
    PB:Wussten Sie, dass Daphne (unverständlich) in Cecil war?
    JT:Daran kann ich mich nicht erinnern. So etwas haben wir gar nicht mitbekommen.
    PB: (Pause) Ihre Dienstzeiten, wissen Sie die noch?
    JT:Allerdings. Von sechs bis sechs, das hat sich mir eingeprägt.
    PB:Sie haben aber nicht auf Two Acres übernachtet.
    JT:Ich bin nach Haus gegangen. Und jeden Morgen um fünf wieder raus! Das hat uns nichts ausgemacht! (An dieser Stelle war Jonah wieder abgeschweift und hatte – beinahe erleichtert, wie Paul schien – eine detaillierte Beschreibung des Alltags eines Bediensteten geliefert, in dem die Hauptfiguren aus Pauls Geschichte lediglich als störende Statisten betrachtet wurden.)
    Von dem Moment an, als Jonah sein Fotoalbum hervorholte, wurde der Gesprächsmitschnitt für Karen ganz und gar kryptisch. Paul lauschte, spulte zehn Sekunden vor, lauschte erneut – Murmeln, Brummen, bedauerndes Lachen, wie die Geräusche eines intimen Zusammenseins, von dem er jetzt auf bizarre Weise ausgeschlossen war. Er hatte sich über Jonah im Lehnsessel gebeugt, manchmal seine Hand festgehalten, wenn er zu schnell weiterblätterte. Sie hatten sich das Album gemeinsam angesehen, jeder den anderen auf etwas aufmerksam gemacht, wobei Jonah immer noch verwundert und gerührt über Pauls eigentlich unangemessenes Interesse an diesen Dingen gewesen war. »Na ja, gibt nicht viel zu sehen«, sagte er, was in mancher Hinsicht stimmte, obwohl einem wie immer dieses »nicht viel« geradezu provozierend entgegensprang. Die alten Schnappschüsse im Format zwei mal drei Zoll – die wenigen, die Paul von sich als Kind kannte, waren ähnlich klein. Jonah beugte sich darüber, verdeckte sie teilweise mit seiner rechteckigen Handlupe, die er zum Zeitunglesen benutzte; und während er zu dem einen oder anderen eine Bemerkung murmelte, schwollen die kleinen Gesichter an oder sausten über den Rahmen der Lupe hinaus. Es war auch ein Gruppenfoto des Personals von Two Acres darunter, kurz vor dem Krieg aufgenommen, Jonah grinsend im bis zum Hals zugeknöpften Arbeitskittel zwischen zwei größeren Hausmädchen mit Häubchen und Schürze, dahinter eine Frau mit üppiger Brust, ganz sicher die Köchin. Die Tür und das Fenster hinter der Gruppe erkannte Paul nicht wieder, doch Jonah war unverkennbar und so strahlend schön, dass der alte Jonah seinetwegen gleich selbstbewusster wurde; mit sechzehn sah er aus, als sei er zufrieden mit dem ihm zugewiesenen Platz gewesen, doch genauso neugierig, was darüber hinaus vor sich ging. Auf den nächsten Seiten ein paar Fotos der Familie. »Das ist ihre Mutter, stimmt’s? Darf ich?«, sagte Paul und hielt das Vergrößerungsglas fest: eine stämmige Frau mit einem aufgeweckten, offenen Gesicht und dem abwägenden Lächeln der Kurzsichtigen. Er erkannte Züge von Daphne in ihrem Gesicht, nicht der Teenager-Daphne auf den Fotos, sondern der Daphne, die er

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