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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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verstanden zu haben: Die Herrschaft war zu dem Schluss gelangt, dass er jetzt so weit war. Er freute sich darauf, das Zimmer aufzuräumen; er würde sich Zeit lassen mit Cecils Sachen, die Knöpfe und Taschen genauer untersuchen. Den anderen unten hätte er es niemals anvertraut, doch er glaubte, wenn er hier im Haus Kammerdiener lernte, könnte er sich nach Ablauf von ein, zwei Jahren damit Arbeit suchen. Und eines Tages würde er sich von Mr Cecil oder jemand anders wie ihm vielleicht doch noch entführen lassen.
    Dann stieß er die Tür zum Gästezimmer auf – und er sah auf den ersten Blick, dass er gar nichts verstanden hatte, dass er von nichts wusste, dass sie ihm nicht gesagt hatten, was zwischen Zubettgehen und Frühstück vor sich ging. Es war, als würde er ein fremdes Haus betreten. Oder aber, überlegte er, nachdem er ein, zwei Schritte ins Zimmer gemacht hatte, oder aber dieser Mr Cecil Valance war ein Verrückter, und bei diesem Gedanken kicherte er entgeistert. Er musste warten, bis Veronica drüben fertig war, es ging nicht anders. Die Bettwäsche war auf dem Boden, als hätte ein Kampf stattgefunden. In der Waschschüssel stand kalt und schaumig das Rasierwasser, der auf dem Bücherregal abgestellte Rasierpinsel hatte einen Ring hinterlassen. Er runzelte die Stirn beim Anblick der im ganzen Zimmer verstreut herumliegenden und über den kleinen Lehnstuhl geworfenen Kleidungsstücke, und es schmerzte ihn besonders, hatte er sie doch vorher, als die Dinge noch ihre Ordnung hatten, in einer glücklichen Zeit, zweckmäßig zurechtgelegt. Die Rosen waren so gut wie tot; Cecil musste die Vase umgestoßen und die Stiele dann wieder hineingequetscht haben, ohne Wasser. Nach wenigen Stun den der Vernachlässigung ließen sie die Köpfe hängen, und der dunkle Fleck auf dem gemusterten Teppich fühlte sich noch feucht an. Die Schmierzettel auf der Frisierkommode entsprachen schon eher dem, womit Jonah gerechnet hatte. »Du warst hier, und ich in Alpen fern – und doch«, las er, »roch ich den Maienduft von Englands Rosen noch.« Er griff nach dem Rasierpinsel und starrte auf die kleine milchig weiße Pfütze, die sich gebildet hatte.
    Jonah ging zum Papierkorb, als würde er routiniert ein kaum benutztes Zimmer aufräumen, und entnahm ihm die Handvoll Schnipsel. Auf einem hatte George etwas geschrieben, und er schämte sich für ihn, weil sein Gast so eine Unordnung veranstaltet hatte. Die Schrift war nicht einfach zu entziffern. »Viens« stand da. War das nicht eine Stadt? Das Notizbuch mit den Gedichten, das anzufassen er sich hüten sollte, lag noch immer auf dem Nachttisch. Später, dachte er, später würde er ganz bestimmt mal darin blättern.
    »Na, der scheint sich ja hier wie zu Hause zu fühlen«, rief Veronica von der Tür aus, und ihr patentes Wesen heiterte Jonah gleich auf. »Die Köchin hat mir schon gesagt, dass der Kerl bestimmt einen Saustall hinterlässt, aber dafür kriegst du zehn Schillinge von ihm, wenn du Glück hast, sogar eine Guinee.«
    »Das hoffe ich doch«, sage Jonah, als wäre er solche Be handlung gewohnt, und stopfte ungeschickt die Papierschnipsel in die Hosentasche. Dann musste er doch schmunzeln. »Das hat die Köchin gesagt?«
    Veronica klaubte die Kissen vom Bett. »Er ist eben Aristokrat«, sagte sie, als würde sie sich mit dem Adel auskennen. »Die können es sich leisten, Unordnung zu machen.« Sie spannte das zerknitterte Laken, bekam auf einmal große Augen und verzog den Mund. »Na, jetzt guck sich einer das an, Jonah!«
    »Oh …«
    »Dein Gentleman hatte einen Erguss.«
    »Oh«, wiederholte Jonah, ließ sich seine Verwirrung jedoch nicht anmerken.
    Veronica musterte ihn verschmitzt. »Du weißt gar nicht, was das ist, oder? Nächtlicher Erguss nennt man das. Junge Herren sind dafür sehr anfällig.« Energisch zog sie das Laken ab, was die Matratze zum Beben brachte. »Da haben wir’s. So was erkennt man sofort. Riech mal.«
    »Nein!«, wehrte sich Jonah, der das für ungehörig hielt und vor Angst, es könnte unerwartet ein Zusammenhang mit seiner Person hergestellt werden, bis über beide Ohren rot wurde.
    »Na, du wirst schon früh genug begreifen, mein Kleiner«, sagte Veronica, die in Jonahs Augen auf einmal erschreckend alt und ziemlich verdorben wirkte. »Nur keine Bange. Du solltest erst mal Mr Huberts Laken sehen. Die muss ich zwei-, dreimal die Woche wechseln. Mrs Sawle weiß Bescheid; ich meine, sie hat sich nicht so klar ausgedrückt, nur gesagt:

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