Fremden Kind
Sizzle? Nein«, funkte Dudley dazwischen. »Es gibt einfach nicht genügend Material. George Sawle hat vor einigen Jahren eine umfassende Sammlung der Briefe herausgegeben – allzu umfassend, wenn Sie mich fragen. Hat viel alte Geschichten über seine Freundinnen ausgegraben: Mein Bruder war ganz verrückt nach romantischen jungen Frauen. Wie dem auch sei, ich habe Sawle freie Hand gelassen, ich kenne ihn seit Jahren.« Dudley sah sich mit einiger Vorsicht in der akademischen Runde um. »Und natürlich wäre da noch das Porträt, das die Sebby Stokes seinerzeit über ihn geschrieben hat. Völlig ausreichend. Sie haben ein bisschen Staub angesetzt, aber enthalten die wesentlichen Fakten.«
Das brachte Paul in eine absurde Situation. Er rutschte auf die Sesselkante und hatte gerade seinen Satz eingeleitet: »Eigentlich wollte ich Sie fragen, Sir Dudley, ob Sie mir vielleicht …«, als Linette am anderen Ende des Raums wieder auftauchte, allein.
»Ah, da bist du ja!«, rief Sir Dudley mit einer seltenen Mischung aus Spott und Erleichterung.
Linette kam in ihrer noch immer unnachahmlichen Art auf sie zu, als läge ihr eine allzu frivole Bemerkung auf der Zunge und als sonnte sie sich lächelnd in der ihr entgegengebrachten Aufmerksamkeit. Der General erhob sich und nach ihm, etwas beschämt, dass sie nicht selber darauf gekommen waren, noch ein, zwei andere. Linette wusste, dass sie nun etwas sagen musste, zögerte jedoch überaus charmant. »Darling … der Senior Dean hat mir gerade etwas gezeigt … also das war das Herrlichste … wie sagt man …?« Sie lächelte unsicher.
»Ich weiß nicht, meine Liebe.«
Linette stieß ein schnaubendes Lachen aus. »Es war ein sehr großes … sehr sehr schönes …« Sie hob eine Hand, um es in der Luft zu zeichnen, was die Sache nur noch unklarer machte.
»Tier, Pflanze, Mineral?«, sagte Dudley.
»Ach, du, Scheusal«, schmollte sie gekonnt, sodass Paul sich vorkam wie in einer intimen kleinen Stegreifvorführung, zu der sonst nur Freunde daheim auf ihrer Veranda in Antequera oder wo auch immer zugelassen waren. Der Auftritt war ein wenig peinlich, doch meisterten sie ihn dank ihres ungebrochenen Selbstvertrauens, ein faszinierendes Paar abzugeben, souverän. »Eigentlich hatte ich gehofft, dass dich die Herren nicht ermüden, jetzt allerdings hoffe ich, dass sie es doch tun!«
»Lady Valance«, bot General Colthorpe ihr seinen Stuhl an.
»Herzlichen Dank, General, aber ich bin tatsächlich selber recht müde.« Sie sah Dudley gespielt vorwurfsvoll an. »Was meinst du?«
»Geh ruhig schon vor, meine Liebe, ich unterhalte mich noch ein bisschen mit diesen netten Menschen.« Wieder erschütterte ein aufblitzendes Grinsen seine Höflichkeit, wie ein sarkastischer Kommentar; aber vielleicht wollte er tatsächlich die seltene Gelegenheit nutzen, mit jungen Lesern und Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen; oder er wollte, wie Paul vermutete, als Martin aufsprang, um Lady Valance zur Wohnung des Masters zu begleiten, eigentlich doch nur ein zweites Glas Whisky.
Am nächsten Morgen wachte Paul mit Glockengeläut und einem Kater auf, der sich in dem fremden und ungemütlichen Zimmer von Greg Hudson umso schlimmer anfühlte. Er lag im Bett, die Fingerknöchel der geballten Faust gegen die heftigen Kopfschmerzen an die Stirn gedrückt, als wäre er tief in Gedanken versunken, dabei kreisten sie nur um den gestrigen Abend, machten erschreckende Sprünge, und seine Erinnerung drehte sich in schwindelerregender Geschwindigkeit. Er verachtete sich dafür, dass er trotz seiner Jugend angesichts der Trinkfestigkeit des Achtzigjährigen mit den glasigen Augen alt aussah. Wenn er daran dachte, dass er über Corinna gesprochen hatte, krampfte sich ihm der Magen zusammen. Dudley hatte einen Punkt hinter Pauls rechter Schulter fixiert, was er zunächst für zärtliche Dankbarkeit, sogar schüchterne Ermutigung gehalten hatte, was sich jedoch nach fünfundzwanzig Sekunden als das Gegenteil herausstellte, die eisige Zurückweisung jeglicher Vertraulichkeit. Zum Glück war Martin, der junge Don, beizeiten zurückgekehrt; und zum Schluss, vielleicht sogar wegen des Alkohols, waren sie freundlich und einvernehmlich auseinandergegangen – oder war auch das eine Täuschung? Unter der Lampe auf der Treppe zur Wohnung des Masters, Dudleys düstere Miene zu einem Grinsen verzerrt, ein günstiger Moment, ein flüchtiger Gutenachtgruß: Paul hatte ihn jetzt noch im Ohr, hatte seitdem mit
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