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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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niemandem gesprochen, und der Klang der Worte war erhalten geblieben, unausgelöscht: »Ja dann, bis morgen!« Wenn es ihm gelang, Linette auszuweichen, ergab sich vielleicht die Gelegenheit zu einem weiteren Gespräch, bei dem er das Band mitlaufen lassen konnte. Was Dudley gestern Abend sonst noch von sich gegeben hatte, davon hatte er das meiste völlig vergessen.
    Er stieg aus dem Bett und entdeckte erstaunt Gregs ungewaschenen Jockstrap und einige andere intime Dinge verstreut auf dem Boden, doch wurden die grässlichen, ohnehin verschwommenen Erinnerungen an seine gestrigen Eskapaden zunächst verdrängt von dem Bedürfnis, eine Toilette aufzusuchen – gerade noch rechtzeitig. Nachdem er sich in einem einzigen bündigen Schwall übergeben hatte, fühlte er eine köstliche Schwäche und beinahe gleichzeitig eine Besserung; seine Kopfschmerzen waren nicht verschwunden, wurden jedoch erträglicher und ebbten ab, und als er sich kurz darauf rasierte, beobachtete er mit Stolz und Faszination, wie sein Gesicht Streifen für Streifen wiederhergestellt wurde.
    Dudley erschien nicht zum Frühstück im Speiseraum, und um 9 Uhr 20 ging Paul zum Telefon am Fuß der Treppe und wählte die Nummer der Wohnung des Masters. Er spürte noch immer eine prickelnde körperliche Schwäche und leichte Orientierungslosigkeit. Eine hilfsbereite Sekretärin am anderen Ende leitete ihn weiter, und beinahe umgehend hörte er Dudley im freundlichen Ton eines Gentlemans und mit einer Spur möglicherweise taktischer Erschöpfung in der Stimme, jeglichem unerwünschten Ansinnen zuvorkommend, sagen: »Dudley Valance …?«
    »Oh, guten Morgen, Sir Dudley – Paul hier …!« Eine Kontaktaufnahme, wie er sie sich erträumt hatte.
    Ein Moment bedächtiger, vielleicht bedenklicher Stille, dann ein ausgesucht liebenswürdiges: »Paul, oh, Gott sei Dank …«
    »Ah …!« – Paul lachte erleichtert, und nach einer Sekunde schien auch Dudley beruhigt. »Hoffentlich rufe ich nicht zu früh an.«
    »Nein, überhaupt nicht. Nett, dass Sie anrufen. Entschuldigen Sie, im ersten Schreck dachte ich, es wäre dieser Paul Bryant .«
    Paul wusste nicht, warum auch er kicherte, als er rot wurde; rasch schaute er sich um, ob ihn auch niemand hörte oder sah. »Oh … äh …« Es war unendlich peinlich, als hätte er je manden belauscht, wie ein anstößiger Blick auf seine eigene Person – und auch auf Dudley. Sofort erkannte er, wie raffiniert diese Masche war: Die Kränkung auf sich zu nehmen hieß, den Fauxpas bloßzulegen … Doch schon platzte er heraus: »Äh, ich bin Paul Bryant …«
    »Oh, tatsächlich?«, sagte Dudley. »Das tut mir aber leid!«, und ergänzte mit einem knappen düsteren Lachen: »Wirklich zu dumm!«
    Paul war viel zu verwirrt, um den Schock vollständig zu spüren, und antwortete unzusammenhängend: »Ich werde Sie jetzt nicht weiter behelligen, Sir Dudley. Wir sehen uns bei Ihrem Vortrag.« Er legte auf und starrte ungläubig den Hörer an.
    Während General Colthorpes Referat über Wavell begriff Paul schließlich, und wieder wurde er rot vor Scham bei der empörenden, aber nutzlosen Erkenntnis. Unauffällig holte er Daphne Jacobs’ Buch aus seiner Aktentasche unterm Tisch. Es stand irgendwo in dem Abschnitt über Dudleys Parade nummern als Scherzbold, über seine Streiche, die sie als Klassiker der Schlagfertigkeit verkaufte und wobei sie es klugerweise dem Leser überließ, über ihre Bösartigkeit oder Sinnlosigkeit zu urteilen. Schon vorher hatte er den Ver dacht gehabt, dass General Colthorpe von seinem Redner pult aus ständig ihn anvisierte, anklagend sogar, und mit einem geschickten Täuschungsmanöver in Richtung des Vortragenden blätterte Paul in dem Buch und fand schließlich die Stelle – den Bericht über Daphnes ersten Besuch auf Corley. Zwischendurch ergeben zum General aufblickend, las er jetzt die Beschreibung, wie Dudley einmal einen Anruf seines Bruders entgegennahm.
    Über die sehr schlechte Leitung vom Telegrafenamt in Wantage kam jetzt die wohlvertraute Stimme. »Hallo, Dud, ich bin’s, Cecil, kannst du mich hören?« Dudley stutzte, setzte ein schurkisches Grinsen auf, das nur witzig fand, wer noch nicht Opfer seiner Streiche geworden war, und sagte dann mit gespielter Erleichterung lachend: »Oh, Gott sei Dank!« Cecil war nur schwach zu vernehmen, aber es klang eindeutig überrascht und besorgt. »Ist was passiert?« Worauf Dudley, mit Blick auf sein Spiegelbild und mich im Flur dahinter,

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