Fremden Kind
befremdlich in seiner Scharfzüngigkeit und merkwürdig passiven Missachtung seiner Umgebung, als wollte er mit seiner Energie haushalten – mögli cherweise war das seinem Alter geschuldet. Offenbar erwartete er herzlich wenig von der Gesellschaft, die ihn gegenwärtig umgab, wie von der gesamten Veranstaltung, wohingegen er seine eigene Rolle darin zweifellos für ziemlich wichtig erachtete. Paul wollte das Gespräch unbedingt auf Cecil lenken, ehe Linette zurückkam, jedoch ohne seinen Plan preiszugeben. Dann hörte er einen amerikanischen Doktoranden, den er im Verlauf des Abends kennengelernt hatte, sagen: »Wie schätzen Sie eigentlich das Werk Ihres Bruders ein, Sir?«
»Oh …« Dudley sackte ein wenig in sich zusammen, blieb jedoch einigermaßen höflich, freute sich vielleicht sogar, seiner Geringschätzigkeit Ausdruck verleihen zu können. »Nun ja … es ist doch sehr seiner Zeit verhaftet, meinen Sie nicht. Einige hübsche Formulierungen, aber zu mehr hat es wohl nicht gereicht. Als ich mir ›Two Acres‹ vor ein paar Jahren noch mal angesehen habe, dachte ich, dass es seine Wirkung eigentlich nur dem Krieg verdankt. Heute klingt es hoffnungslos sentimental.«
»Oh, ich bin damit aufgewachsen«, sagte ein anderer Mann halb lachend, ohne direkt zu widersprechen.
»Hm, ich auch …«, sprach Paul leise in sein Brandyglas.
»Es hat mich immer amüsiert«, sagte Dudley, »dass mein Bruder, Erbe von dreitausend Morgen Land, durch eine Ode an gerade mal zwei berühmt geworden ist.« Es war haargenau der gleiche Witz wie in den Schwarzen Blumen, doch im Senior Common Room des Balliol College kam er nicht gut an. Unterwürfiges Lachen, am prominentesten das von Paul. »Ha …!« General Colthorpe war zurückgekehrt, und selbst in einer zivilen Umgebung wie dieser entstand eine gewisse Unruhe, weil einige meinten, sich erheben zu müssen.
»Von wem ist die Rede?«, fragte er.
»Meinem Bruder Sizzle, General«, bemühte sich Dudley.
»Ah, ja«, sagte der General, lehnte den angebotenen Platz auf dem Sofa ab, nahm sich einen Stuhl mit harter Sitzfläche und vervollständigte das Halbrund zu einer Ellipse, wodurch die Zusammenkunft plötzlich zur strategischen Lagebesprechung wurde. »Ja, ein tragischer Fall. Und ein sehr vielversprechender Dichter.«
»Ja …« – Dudley war jetzt vorsichtiger geworden.
»Wavell kannte einige Gedichte auswendig, ›Träumende Soldaten‹ hat er in Die Blumen anderer Männer aufgenommen, und er hatte viel übrig für ›Die alte Kompanie‹.«
»Ah, ja«, sagte Dudley.
»Dazu will ich morgen etwas sagen. Er hat immer daraus zitiert« – der General klimperte mit den Wimpern – »›Die alte Kompanie, schon wahr / doch nicht die alten Kameraden‹ – so haben es viele junge Offiziere erlebt. Es ist das Beste, was jemals zu dem Thema gesagt wurde.« Er sah sich um. »Sie kehrten zurück, immer wieder – falls sie überhaupt durch kamen, verstehen Sie? –, und nach jedem Einsatz hatte sich die Kompanie völlig verändert, viele waren gefallen. Jede Kom panie besaß ihre eigene Tradition, auf die streng geachtet wurde, aber die Einzigen, die sich noch an die alten Haudegen erinnerten, waren bald auch tot – niemand erinnerte sich mehr an die, die sich noch an sie erinnert hatten. Doch, ja, ein großartiges Gedicht, auf seine Art.« Aufrichtig ergriffen schüttelte er den Kopf. Paul spürte, dass es Einwände in der Gruppe gab, doch die Einschätzung des Generals, es sei das Beste, was jemals darüber geschrieben wurde, ließ sie zögern.
»Über das Thema habe ich ja nun auch viel geschrieben«, warf Dudley leichtfertig ein.
»Ja – gewiss«, sagte der General, der über das Werk des jüngeren Bruders möglicherweise nicht so gut informiert war oder dessen Ton im Zusammenhang mit militärischen Dingen missbilligte. Als kultivierter Mensch und Mann der Tat wirkte General Colthorpe mit seinem schmalen vergeistigten Gesicht und dem durchdringenden, unausweichlichen Blick so einschüchternd, dass sich Dudley mit seinen hübschen Manschettenknöpfen, dem Stock mit dem Silberknauf und den grauen Löckchen im Nacken im Vergleich wie ein Schlapp schwanz ausnahm. Der General blickte wie um Entschuldigung bittend. »Ich frage mich gerade: Eine ordentliche Biografie ist bis heute nicht erschienen, oder?«
Pauls Herz raste, und er wurde rot, als jemand seinen eigenen, noch mehr oder weniger heimlichen Wunsch aussprach. »Nun ja …!«, sagte Martin und lachte Paul an.
»Von
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