Fremden Kind
jedenfalls vor. 3 Wände mit Bücherregalen, Zimmer abgewohnt und trostlos.
Als Erstes fragte ich ihn, wann er Cecil kennengelernt habe (was er in seinem Vorwort zu den Briefen seltsamerweise verschweigt). »Das war in Cambridge. Er hat mich bei den Apostles eingeführt. Eigentlich darf ich darüber ja nicht sprechen«, guckt dabei verschämt. Sie suchten sich sogenannte »geeignete« Studenten aus und beurteilten sie; allerdings war die Gesellschaft der Apostles streng geheim, den Kandidaten war gar nicht bewusst, dass sie einer gründlichen Prüfung unterzogen wurden. »C war mein Fürsprecher, wie sie genannt wurden. Aus irgendeinem Grund hatte er Gefallen an mir gefunden.« Ich sagte, er müsse ihm also als »geeignet« erschienen sein. »Ja, muss ich wohl«, sagte er und sah mich komisch an. »Ich war äußerst schüchtern, und C war das glatte Gegenteil. Man hat sich riesig gefreut, wenn er einen bemerkte.« Was war er damals für ein Mensch? Er »war bekannt wie ein bunter Hund«, aber er verzettelte sich. Verpatzte sein Examen in Geschichte, weil er immer mit irgendwas anderem beschäftigt war, schnell gelangweilt, von Dingen und Menschen. Zweimal hat er sich für ein Stipendium beworben und es beide Male nicht bekommen. Er spielte viel Rugby oder ruderte oder ging bergsteigen. »Aber vermutlich nicht in Cambs, oder?« GFS lachte. »Er ist in Schottland geklettert und manchmal auch in den Dolomiten. Er war sehr kräftig und hatte sehr große Hände. Die Skulptur auf seinem Grabmal entspricht ihm überhaupt nicht, die hat ja fast mädchenhafte Hände.«
C spielte außerdem gerne Theater, machte in einem französischen Stück mit, das über lange Zeit einmal jährlich aufgeführt wurde. »Aber er war kein guter Schauspieler. Er spielte in allen Rollen immer nur sich selbst. Im Dom Juan von Molière (nachprüfen) spielte er den Diener, was ihn völlig überforderte.« Konnte C sich nicht in andere Leute hineinversetzen? GFS sagte, das liege an seiner Erziehung; C glaubte, seine Familie und sein Zuhause seien wichtig, und meinte daher »ganz unschuldig«, andere müssten sich auch dafür interessieren. War er ein Snob? »Es war kein Snobismus, eher ein fester Glauben an die gesellschaftlichen Verhältnisse.« Und die Schriftstellerei? GFS sagte, auch daran habe er fest geglaubt, viele Gedichte über Corley Court. Ich sagte, Liebesgedichte habe er auch geschrieben. »Ja, einige hielten ihn für einen Rupert Brooke der Oberschicht. Oberschicht, aber zweitklassig.« Ich sagte, den Briefen könne ich nicht entnehmen, wie gut C Brooke gekannt habe – es fänden sich 2, 3 sarkastische Bemerkungen und in Keynes’ Ausgabe der Briefe Brookes gar nichts. »Oh, er hat ihn auf jeden Fall gekannt – er war ja auch Mitglied bei den Apostles. RB war drei, vier Jahre älter. Sie haben sich nicht gut vertragen.« C sei in mancher Hinsicht eifersüchtig auf RB gewesen, C vom Wesen her sehr ehrgeizig, fühlte sich von ihm in den Schatten gestellt, als Dichter und als »Schönheit«. C sah doch auch sehr gut aus? GFS sagte, »er war sehr auffallend, teuflische dunkle Augen, mit denen er andere gern verführte. Rupert war eine makellose Schönheit, aber Cecil war viel stärker und maskuliner. Er hatte einen riesigen Schwanz«. Ich überprüfte, ob das Band auch ja hübsch weiterlief, und notierte mir, was GFS gesagt hatte, bevor ich aufblickte und ihm wieder ins Gesicht sah – er wirkte nüchtern, aber staunte selbst darüber, was ihm gerade herausgerutscht war. Ich sagte, er sei wohl mal mit C schwimmen gegangen. »Ja, gelegentlich schon«, sagte er, als hätte er den Sinn der Frage nicht begriffen. »C hat sich ständig ausgezogen. Dafür war er berühmt.« Was soll man darauf sagen? Ich fragte ihn, ob hinter all den Liebesgedichten lebende Personen stünden. Diese Frage war von zentraler Bedeutung für mich. Er sagte, »Oh, ja!«, und ich: Margaret Ingham und D natürlich. »Miss Ingham war ein Blaustrumpf und ein Ablenkungsmanöver.« (lacht) Jetzt sollte ich damit herausrücken, dachte ich. Hat C sowohl Frauen als auch Männer verführt? Er sah mich an, als läge da ein kleines Missverständnis vor. »C hat mit jedem gevögelt«, sagte er.
In dem Moment schlug MS ’ Krücke gegen die Tür; sie brachte ein Tablett mit zwei Tassen Kaffee. GFS hat Prostatabeschwerden, aber meint, Kaffee sei gut fürs Gedächtnis. »Ich werde allmählich vergesslich«, sagte er. »Nur ein bisschen!«, sagte MS . GFS (leise): »Du hörst eben
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