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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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vermutlich schon seit über fünfzig Jahren. In ihren Memoiren hatte sie aus dieser jugend lichen Romanze eine große Sache gemacht, und Paul sah, dass ebendiese große Sache die weit entrückte, authentische Erfahrung längst ersetzt hatte und nach bislang noch nicht offenbarten Einzelheiten auch nicht mehr befragt werden konnte. Anscheinend interessierte Cecil sie kein bisschen mehr, genauso wenig wie die Chance, die Paul ihr gab, zum Ende ihres Lebens einige Dinge richtigzustellen. Er lachte leise bei dem Gedanken an ihre brüskierenden Worte beim Abschied (»Ach, kommen Sie noch mal wieder?«), doch eigentlich machten sie ihn umso entschlossener.
    Georges Theorie über Corinna warf, falls sie zutraf, ein seltsames Licht auf Dudley. Vielleicht sollte er Daphne heute mal auf ihre erste Ehe ansprechen und versuchen, sie behut sam und trickreich zu Enthüllungen zu verleiten. George hatte behauptet, solche Ehen seien damals keine Seltenheit gewesen. Paul musste unbedingt Corinnas Geburtsurkunde auftreiben. Inwieweit hatte sich Dudley bei der ganzen Sache mitschuldig gemacht? Eine äußerst kuriose Dreiecksgeschichte war das. In den Schwarzen Blumen handelte Dudley die Affären seines Bruders in seinem gewohnt rüden, sarkastischen Stil ab.
    Meine Frau hatte Cecil vor dem Krieg kennengelernt, als er für ihren Bruder George Sawle so etwas wie ein Mentor war. Nach einem Besuch bei den Sawles in ihrem Cottage in Harrow hatte er das Gedicht »Two Acres« geschrieben, das in den Kriegsjahren und danach einige Berühmtheit erlangte. Ich glaube, sie war ziemlich geblendet von seiner Vitalität und seinem Profil und als glühende Verehrerin romantischer Gedichte selbstverständlich überwältigt, mal einen richtigen Dichter mit dunklen Augen und rabenschwarzem Haar kennenzulernen. Sicher, es gibt Anzeichen, dass er sie gernhatte, aber die sollte man nicht überbewerten; mein Bruder war Bewunderung gewohnt und in der Regel großzügig zu denen, die sie ihm entgegenbrachten. Sein berühmtes Gedicht schrieb er auf ihre Bitte nach ein paar Zeilen zur Erinnerung in ihr Poesiealbum, dabei kannte er sie zu diesem Zeitpunkt erst zwei Tage. Es hat mich immer amüsiert, dass mein Bruder, Erbe von dreitausend Morgen Land, durch eine Ode an gerade mal zwei berühmt geworden ist. Fürsorglich lud er sie ein, nach Corley zu kommen, wenn ihr Bruder auch einmal bei uns wäre.
    Es folgten diverse sarkastische Bemerkungen über Georges Besuch bei den Valances.
    Er interessierte sich lebhaft für Haus und Hof, und mochte er auch unfreiwillig wie ein Makler oder Gerichtsvollzieher auftreten, so beschäftigten ihn in erster Linie doch intellektuelle Fragen. Manchmal absentierten sich Cecil und er für Stunden und kehrten mit Schauermärchen zurück, was sie alles in den labyrinthischen Kellerräumen oder abgelegenen Dachböden entdeckt hätten, oder mit Berichten über die Qualität der Weiden und Forsten auf Corley, die natürlich besonders meinen Vater erfreuten.
    Paul dachte wieder an Cecil und George auf dem Dach, das ganze schwierige Ausmaß der stummen Zeugenschaft in Bildern und Andeutungen. Sicher spielte Dudley hier auf etwas an, was er unmöglich frei hätte äußern können.
    Daphne, zwei, drei Jahre jünger, war offener und unverkrampfter und redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war, was meine Mutter gelegentlich erschreckte, mich aber regelmäßig erfreute. Sie war mit zwei älteren Brüdern aufgewachsen und es gewohnt, von ihnen verwöhnt zu werden. Durch den einigermaßen exklusiven Charakter von Georges und Cecils Zeitvertreib waren wir beide auf uns zurückgeworfen, und zunächst war unsere Beziehung geschwisterlich. Sie schwärmte für Cecil, das war deutlich, mir dagegen war sie eine vergnügliche, unschuldige Kameradin, die sich von meinem familiären Status als wenn nicht schwarzes, dann zumindest graues Schaf wenig beeindruckt zeigte. Sie redete gern, und noch bei den schlichtesten Scherzen hellte sich ihre Miene auf. Corley Court war für sie weniger sozialgeschichtliches Material als vielmehr Traumbild aus einem alten Liebesroman. Seine unmenschlichen Aspekte machten teilweise seinen Charme aus. Die Buntglasfenster, die das Licht abhielten, die hohen Decken, die alle Versuche, die Räume zu heizen, vereitelten, das undurchdringliche Dickicht aus Tischen, Stühlen und Topfpflanzen, all das wurde magisch aufgeladen. »In so einem Haus möchte ich gerne wohnen«, sagte sie anlässlich ihres ersten Besuchs. Vier Jahre

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