Fremden Kind
einfacher Funktionär, der eine großartige Maschine bediente. Offenbar bemerkte er jetzt selbst, dass seine Worte nicht mehr mit der optimalen Lautstärke zurückkamen. »Als Peter mit einigen von uns in seinem Wagen nach Oxford fuhr«, sagte er, »zeigte er uns als Erstes die Keble-College-Chapel …« – »Lauter!«, tönte eine gebieterische Stimme trotzig von hinten, und andere, höflicher und entgegenkommender, fielen ein. Dupont schaute nach unten, das Mikrofon war wie eine welke Blume eingeknickt, und der Kopf zeigte jetzt auf seinen Schritt.
Rob musste lachen, sah zu dem Blonden, der mit einem der Lederkerle an der gegenüberliegenden Seite des Raums flirtete. Leicht genervt wandte sich Rob ab, während vorn das Mikrofon neu justiert wurde, und sah an den Regalen unmittelbar neben sich hoch. Es musste die Abteilung mit den Werken der Clubmitglieder sein. Ein paar berühmte Namen ragten heraus, der ganze Stolz des Clubs; andere Autoren, deren Namen ihm nichts sagten, hatten pflichtbewusst ihre sämtlichen Veröffentlichungen abgegeben – die, jahrzehntelang unberührt, mit der Zeit verblichen, verstaubt, stockfleckig geworden waren. Ihm gefiel diese Folge der Vernachlässigung von Werken, die erst stolz präsentiert und dann sogleich vergessen wurden – versteckt vor aller Augen, vermutlich sogar von anderen Mitgliedern übersehen, deren Blick täglich über die Regale ging; ein Schattenreich, das sonst eher den Jagdgrund des schwer bewaffneten Buchantiquars bildete.
»Ich könnte noch stundenlang über Peter reden«, sagte Dupont, »aber hören wir doch zunächst etwas Musik.« Er trat vom Podium, und man lauschte Mahlers »Ich bin der Welt abhanden gekommen«, gesungen von Janet Baker, allerdings so brüllend laut, dass die Boxen flatterten und schepperten. Der junge Mann, der für die Beschallung zuständig war, sprang auf, stellte die Musik abrupt leiser und kurz darauf, als suchende liebevolle Blicke aus Teilen des Publikums ihn trafen, wieder lauter, grinste und strich sich das Haar hinters Ohr. Rob nahm seinen Füllfederhalter und machte sich auf der Rückseite seiner Visitenkarte Notizen.
Als Nächster erzählte Nick Powell, der zusammen mit Peter in Oxford studiert hatte, von einer gemeinsamen Reise im Sommer in die Türkei. Er las vom Blatt ab, stockend, was persönlicher wirkte als Duponts Stegreifrede. Er sagte nicht ausdrücklich, dass er ein Liebesverhältnis mit Peter gehabt hatte, doch es stand im Raum. Und dann geschah es wieder: Wie von Gefühlen überwältigt zunächst, wurde die Stimme wenig später trocken und distanziert, und das lang anhaltende Heulen eines die gesamte Länge der Pall Mall entlangrasenden Motorrads brachte plötzlich den traurigen Missklang der Außenwelt herein. Man hörte klirrende Hämmer, in der Ferne quietschende Bremsen. Eine mitfühlende Dame erhob sich von ihrem Platz, um noch einmal auf das Problem mit dem Mikrofon aufmerksam zu machen, von hinten tönte es wieder: »Lauter! Lauter!«, als bestätigte das Unvermögen des Redners, stimmlich zu dem Rufer vorzudringen, die schlechte Meinung, die der sich bereits von ihm gebildet hatte.
Das schwächelnde Mikrofon wurde ab jetzt Teil des Programms, es war nervenaufreibend, wirkte auf subtile Weise zersetzend und stellte die Geduld aller auf die Probe. Der junge Techniker mit seiner geistlosen Miene, die nur demonstrierte, dass er von Tontechnik genauso wenig verstand wie die Anwesenden, rannte ständig zum Pult und drehte an der Flügelschraube, die das Mikrofon fixierte. Das Publikum reagierte zunehmend verärgert, rief ihm Ratschläge zu und fing unmerklich an, seinen Groll auf die Redner und Sprecher zu übertragen. Zu guter Letzt wurde das Mikrofon ganz vom Pult entfernt, und man musste es in der Hand halten, wie ein Sänger oder Comedian, was nur zu neuen Rückkopplungen oder allmählichem Ausblenden führte, wenn man es unbewusst zu weit vom Mund entfernt hielt. Es war schwierig, die Distanz auszubalancieren, und Sarah Barfoots Hand zitterte sichtlich.
Während der Redebeiträge notierte sich Rob einige Dinge: dass Peter die Tuba auf einem »halbwegs erträglichen Niveau« zu spielen erlernt und dass er im elterlichen Garten einen Tempel gebaut, ihn aber mittendrin aufgegeben und ihn seine »künstliche Ruine« genannt hatte. Angeblich war das typisch für ihn. »Peter war der ideale Mediendozent«, sagte jemand von der BBC , »ohne Dozent im eigentlichen Sinn zu sein oder gar ein ausgebildetes
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