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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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kennenzulernen und noch einige andere junge Dichter.«
    »Ach ja, richtig«, sagte George, »Peter Blanchard, genau …«
    »Peter Blanchard war sehr eingenommen von Cecil.«
    »Ja, völlig …«, sagte George und sah zur Seite, verwundert darüber, dass ihm jetzt einfiel, wie eifersüchtig er auf Blanchard gewesen war. Die schrecklichen Torturen dieser Zeit, die flatternden Talare in Treppenhäusern, die flüchtig erblickten Gesichter, wenn die Vorhänge zugezogen wurden – sie erschienen ihm wie ein ferner Aberglaube. Was hatten diese Emotionen heute, Jahre später, da das Objekt der Begierde tot war, noch für eine Bedeutung? Stokes sah ihn kurz unsicher an, preschte aber munter weiter.
    »Ich kann mich nicht mehr an alle erinnern, aber es gab da noch einen jungen Mann. Er sagte nie ein Wort, und seine Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass der Champagner kalt blieb.«
    »War das der Junge, der die Flaschen immer an Schnüren ins Wasser hängte?«, sagte George und kam sich auf einmal schrecklich töricht vor, rückblickend und auch jetzt. Mit jedem Schub des Bootes nach vorn schlugen die Flaschen gegen den Rumpf, und wenn man die Drahtverschlüsse löste, flogen die Korken wie Geschosse in die ausladenden Weiden.
    »Ganz genau«, sagte Stokes. »Ganz genau. Es war ein prächtiger Tag. Ich werde nie vergessen, wie Cecil seine Ge dichte las, das heißt, er las sie nicht, er rezitierte sie. Anscheinend konnte er sie auswendig. Deswegen waren sie wie eine Rede, allerdings in einer ganz anderen Stimme, der Stimme des Dichters. Es war ausgesprochen eindrucksvoll. Er rezitierte zum Beispiel ›Oh, lächle mir nicht‹, aber es konnte natürlich kaum einer an sich halten!«
    »Nein, wie auch?«, sagte George, wurde schlagartig rot und wandte sich ab. Er schaute zum Altar hinter dem blanken Messinggeländer, als hätte er dort etwas Interessantes entdeckt. War er dazu verdammt, das ganze Wochenende über wie ein Leuchtfeuer zu glühen?
    »Aber Sie haben nie zu den Dichtern gehört, oder?«
    »Wie bitte …? Oh, nein, ich habe nie eine Zeile geschrieben«, sagte George über die Schulter.
    »Ah«, murmelte Stokes hinter ihm. »Dafür bleibt Ihnen die Genugtuung, ihn zu seinem vielleicht berühmtesten Gedicht inspiriert, veranlasst oder auf sonst irgendeine Weise angeregt zu haben.«
    George drehte sich um, sie waren wie eingepfercht zwischen Grabmal und Altar. Die Frage in Stokes’ Bemerkung war bemüht freundlich formuliert, aber George behandelte sie wieder mit der gebotenen Behutsamkeit. »Oh, wenn Sie ›Two Acres‹ meinen«, sagte er, »das wurde für meine Schwester geschrieben.«
    Stokes lächelte abwesend, sah erst George an, dann zu Boden. Es war, als hätte sich ein zarter Nebelschleier über das Thema gesenkt. »Natürlich muss ich unbedingt Lady Va lance – Daphne – danach fragen, wenn ich sie heute Nachmittag spreche. Aber erkennen Sie sich nicht wieder in den Zeilen – wie gehen sie noch mal? ›Ist irgendein Mann gelehrter / als der von Stanmore, Verehrter‹?«
    George lachte verhalten. »Schuldig im Sinne der Anklage«, sagte er – obwohl er genau wusste, dass »gelehrter« nicht das von Cecil ursprünglich gewählte Attribut war. »Wie Sie wissen, hat er es zuerst in Daphnes Poesiealbum geschrieben.«
    »Das liegt mir vor«, sagte Stokes mit einer Knappheit, die mit seinem Feingefühl kaum vereinbar war, ergänzte dann mit einem erstaunten Lachen: »Sie muss wohl gespürt haben, dass sie sich mehr eingehandelt hatte, als erwartet.«
    »Ja, es geht ja noch weiter, nicht«, sagte George. Er selbst hatte das Gedicht gründlich satt, spürte dennoch gedämpfte Freude, dass es mit ihm in Verbindung gebracht wurde. Er war angeödet und peinlich berührt von der Popularität der Verse; dass sie ein Geheimnis bargen, amüsierte ihn eher, und dass man dies niemals preisgeben durfte, beruhigte ihn auf traurige Weise. Manche Passagen, die Cecil ihm vorgelesen hatte, waren nicht veröffentlicht, nicht zur Veröffentlichung bestimmt und jetzt vermutlich für immer verloren. Das englische Idyll hatte seine geheimen Abschnitte, unzüchtige Figuren in Bäumen und Büschen … »Daphne kann Ihnen die Geschichte dazu erzählen«, sagte er und verleugnete sie selbst wie üblich im selben Atemzug.
    Stokes sagte äußerst taktvoll: »Sie und Cecil waren aber doch offensichtlich … sehr eng befreundet«, wobei sein Taktgefühl eine Fortsetzung seines Mitleids mit dem erlittenen Verlust war, für George jedoch auf ein

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