Fremden Kind
die geringste Illoyalität. »Oh, ich glaube, es wird wohl niemand bestreiten«, sagte er, »nicht wahr, dass eine ganze Reihe, ja, eine beträchtliche Zahl von Cecils Gedichten, vielleicht besonders die lyrischen … und ganz sicher ein oder zwei der Kriegsgedichte … ›Two Acres‹ sowieso, zwar etwas gefälliger, aber doch ganz bezaubernd … – dass sie gelesen werden, solange es Leser gibt mit einem Ohr für englische Musik und einem Auge für alles Englische …«
Dieser hohe Anspruch schien in den letzten Nebensätzen eher verklungen zu sein, und mit einem Blick auf Cecils ritterliche Gestalt wandte George sanftmütig ein: »Ich frage mich nur, ob die Leute den Krieg nicht langsam satthaben.«
»Oh, ich glaube, über den Krieg ist das letzte Wort noch nicht gesprochen«, sagte Stokes.
»Nein, das wohl nicht«, sagte George. »Und ein großer Teil von Cecils Werk ist ja vor dem Krieg entstanden.«
»Ganz recht, ganz recht …, aber der Krieg hat ihn bekannt gemacht, das müssen Sie zugeben. Spätestens als Churchill die paar Zeilen aus ›Two Acres‹ in der Times zitierte, war aus Cecil ein Kriegsdichter geworden.« Stokes ließ sich am Ende der ersten Kirchenbank nieder, wie um dem Wortgefecht die Schärfe zu nehmen, aber doch zu zeigen, dass er sich ihm stellen wollte.
»Dennoch«, sagte George, wie schon so oft zuvor, mit der Hartnäckigkeit eines Lehrers, »›Two Acres‹ ist ein gutes Jahr vor Ausbruch des Krieges entstanden.«
»Ja …«, sagte Stokes mit beinahe protokollarischer Miene. »Das schon. Aber findet sich bei unseren Dichtern und Künstlern nicht häufig eine prophetische Gabe?« Er lächelte entgegenkommend. »Und wenn nicht das, so doch wenigstens eine Art Vorwissen, ein Gespür für das Unausweichliche, für das die meisten von uns taub und blind sind?«
»Das mag sein«, antwortete George, misstrauisch gegenüber diesem hohlen Gerede, das seiner Ansicht nach zu viel vernebelte, was als Literaturkritik galt. »Aber dazu möchte ich zwei Dinge sagen. Sie werden mir sicher zustimmen, dass wir alle schon über den Krieg gesprochen haben, lange bevor er ausbrach. Man brauchte keine prophetischen Gaben zu besitzen, um zu wissen, was los war. Cecil schon gar nicht. Er war herumgekommen, in Hamburg und Berlin gewesen, ist an der friesischen Küste entlanggesegelt, er war folglich sehr gut im Bilde. Und zweitens hat Cecil, wie Ihnen sicher bekannt ist, diese fragliche kleine Passage für den Abdruck in New Numbers nachträglich an ›Two Acres‹ angefügt.«
»Sie meinen: ›Der Jagdhund in der Flur, / Am Berg der Falke dort‹.«
»›Ziehn nicht gewisser ihre Spur , / Als England zieht zum Mord‹«, freute sich George, das Zitat vervollständigen zu können. »Das hat nicht das Geringste mit dem Haus Two Acres zu tun, verwandelt aber das Gedicht ›Two Acres‹ in ein Kriegsgedicht der – in meinen Augen – eher bedrückenden Sorte.«
»Es hat das Gedicht verändert, das ja«, sagte Stokes nachsichtig.
»Für uns war das so, als hätte sich unten im Garten eine Geschützstellung eingenistet … Aber Sie haben von dem Gedicht sicher eine höhere Meinung. Ich bin Historiker, kein Kritiker.«
»Ich weiß nicht, ob ich da so scharf trennen würde.«
»Ich will damit sagen, dass ich zeitgenössische Dichtung eigentlich nicht lese. Ich bin nicht auf dem Laufenden, so wie Sie.«
»Man gibt sich Mühe«, sagte Stokes. »Ich gebe zu, manche der heutigen Dichter verstehe ich auch nicht mehr – einige von den Amerikanern …«
»Aber Sie bleiben auf dem Laufenden«, bestätigte ihm George.
Stokes schien zu zögern. »Ich tue das für diejenigen, denen ich damit helfen kann«, sagte er, was großzügig und zugleich bedürftig klang.
»Und jetzt …«
»Und jetzt …. Tja, jetzt muss ich erst mal zusehen, dass ich Valances Sachen alle zusammenbekomme«, sagte Stokes und stand auf wie jemand, der wusste, dass er zu spät zur Arbeit kommen würde.
»Wie viel wird es denn werden, was meinen Sie?«
Stokes hielt inne, als überlegte er, ob er noch eine weitere vertrauliche Mitteilung machen durfte. »Es wird ein recht stattliches Buch.«
»Mit vielen neuen Sachen?«
Er wich kurz zurück und sagte dann: »Jedenfalls sehr vielen alten.«
»Hm, Sie meinen die kindlichen Ergüsse.«
Sebby Stokes sah sich mit seiner komischen Miene, die gleichzeitig Offenheit und Vorsicht suggerierte, um. »Ja, die kindlichen Ergüsse, wie Sie sie so treffend bezeichnen.«
»Nicht
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