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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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musste gegen die aufkommende Erleichterung in mir ankämpfen.« Er sah seine Frau an. »Ich weiß noch, wie ich herausplatzte: ›Aber Huey geht es doch gut, oder!‹, und Daphne, ziemlich verärgert, sagte: ›Was? Oh, Huey geht es gut‹, und dann: ›Der schöne Cecil ist tot.‹ Das waren ihre Worte, und sie fing an zu wimmern, ein ungewöhnlicher Laut, den ich weder vorher noch nachher je wieder von ihr gehört habe.« Erneut sah er hinüber zu Madeleine und stieß ein seltsames keuchendes Lachen aus. Madeleine erwiderte seinen Blick und offenbarte mit ihrem leeren, nachdenklichen Gesicht, dass sie ganz andere Fragen quälten. »Der schöne Cecil ist tot«, wiederholte George leise im Ton heiterer Rückerinnerung. Nie würde er diese Worte vergessen, noch die unerwartet wilde, hem mungslose Trauer, die ihn bestürzte bei jemand so Nahe stehenden wie der eigenen Schwester. Schon damals hatte er diesen Worten widerstanden, ihrem plötzlichem Appell an etwas Gemeinsames, doch nie Ausgesprochenes, bis jetzt. In Wahrheit erschien Cecils Tod, viel mehr als die meisten anderen Toten jenes Sommers, einfach als unmöglich und gleichzeitig wenig überraschend. Nach einer Woche sah er ihn als unausweichlich an.

6
    P iccadilly, Darling … «, sagte Mrs Riley, »mit zwei c?«
    »Ja, natürlich!«, sagte Daphne.
    »Ich glaube ja, zwei«, sagte ihre Mutter nach einer Weile.
    »Ganz so dumm bin ich auch wieder nicht«, sagte Mrs Riley, »aber bei manchen Wörtern weiß ich einfach nicht …« Sie zog einen kräftigen Strich unter die Adresse und lächelte boshaft über das, was sie geschrieben hatte. Niemand wusste, was es für ein Brief war, doch die Adresse in Piccadilly sollte sie aufhorchen lassen. Sie waren im Frühstückszimmer mit seinem Chintz und Porzellan und einem kleinen Kaminfeuer, das im Sonnenlicht beinahe unterging. Freda schaute in die blassen Flammen, und Daphne wusste, was sie jetzt sagen würde: »Die Sonne wird das Feuer auslöschen.«
    Mrs Riley zündete sich leicht nervös eine Zigarette an. »Glauben Sie das wirklich, meine Liebe?«, sagte sie.
    »Machen Sie sich ruhig lustig«, sagte Freda. »Ich glaube es jedenfalls.« Sie lächelte schüchtern. Die Abneigung ihrer Tochter gegenüber dieser Frau hatte sie durchaus registriert, sie selbst fand sie jedoch nur befremdlich, mehr nicht.
    »Es ist heute so warm, Mummy«, sagte Daphne freundlich. »Da brauchen wir doch das Feuer nicht, oder?« Sie lächelte ihrer Mutter zu, die einen Brief im Schoß hielt, einen alten Brief, dessen Umschlag, vor langer Zeit ungeduldig aufgerissen, sie mit dem Daumen glatt strich.
    »Das ist alles, was ich habe«, sagte sie. »Ich habe Cecil ja kaum gekannt.«
    »Das macht doch nichts«, sagte Daphne. »Und natürlich hast du ihn gekannt.«
    »Ich wusste nicht, dass mal ein großer Dichter aus ihm werden würde.«
    »Hm. Ich glaube, nicht alle sind davon überzeugt.« Die Tür gegenüber ging zur Bibliothek, in der Sebby Stokes seine Interviews führte. Im Moment war wohl Wilkes bei ihm und wurde nach seinen Erinnerungen befragt, frühen Anzeichen einer Begabung bei Cecil. Selbstverständlich bekamen sie von dem Gespräch nichts mit, dennoch schwebte es gleichsam im Raum für die Anwesenden, die wie ergebene Patienten in einem Wartezimmer saßen und beinahe damit rechneten, jeden Moment Schmerzensschreie aus dem Behandlungszim mer nebenan zu hören. Freda mühte sich gereizt um Konzent ration und sah ihre Tochter an.
    »An ein paar Dinge erinnere ich mich schon. War er einmal oder zweimal bei uns? Weil ich nur einen Brief von ihm habe …?«
    »Wahrscheinlich zweimal.«
    »Er war sehr energisch«, sagte Freda.
    »Ja, er konnte energisch sein, das ja …«
    Obwohl nie darüber gesprochen wurde, hatte Daphne den Eindruck, dass ihre Mutter Cecil eigentlich nicht leiden konnte. Jetzt sah sie ihn wieder vor sich, überdurchschnittlich groß in ihrem Haus, sich kurz dazu herablassen, unter ihr bescheidenes Dach zu kriechen. Als Dichter und Angehöriger der Oberschicht hatte man ihm Sonderrechte eingeräumt; er durfte Sachen kaputt machen, die ganze Nacht aufbleiben, die Morgendämmerung anbeten. Sie hatten sich alle Mühe gegeben, seine Absurditäten als Tugenden zu behandeln, als bemerkenswerte Neuerungen. Hatte Freda das Treiben im Garten nach Einbruch der Nacht mitbekommen? Vieles hatte sie damals übersehen, dafür sorgten die im Kleiderschrank und sonst wo im Haus versteckten Flaschen. Das Gedicht allerdings hatte ihre

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