Fremden Kind
sagte Daphne, lächelte angespannt, fühlte sich aber verunsichert. Mrs Riley sah verschmitzt hinüber zu Revel, und Daphne konnte nur hoffen, dass er nicht in ihre Richtung blickte.
»Wie haben Sie ihn kennengelernt?«
Die Antwort fiel leicht. »Er hat den Buchumschlag für Die lange Galerie entworfen.«
»Ach, Sie meinen das Buch Ihres Mannes?«, sagte Mrs Riley unbedacht.
»Sie erinnern sich bestimmt an die hübsche Zeichnung mit dem gotischen Fenster …«
Mrs Riley warf ihre Zigarette fort und wurde auf einmal ganz sachlich. »Ehrlich gesagt, komme ich mir ein bisschen dumm vor«, sagte sie.
»Oh …«
»Ich meine, weil ich Cecil nicht gekannt habe.«
»Was soll daran dumm sein?«, sagte Daphne mit dürrer Nachsicht. Ein Großteil ihrer eigenen Dummheit, glaubte sie, rührte daher, dass sie ihn gekannt hatte.
»Ich weiß nicht …« Mrs Riley machte eine Miene, als widerstrebte es ihr, das Folgende zu sagen: »Soll ich nicht doch lieber abschieben?«
»Oh … Eva …!«, verschlug es Daphne beinahe den Atem. Sie runzelte die Stirn und wurde ebenfalls tiefrot, was ihr sehr peinlich war. »Wie können Sie nur so etwas denken?«
»Wirklich nicht? Ich komme mir wie ein Eindringling vor.« Daphne sah Mrs Riley in ihren schicken Kleidern heimlich durch ein Fenster von Corley Court steigen. »Ich habe keine poetische Ader. Ich bin literarisch nicht so gebildet wie Sie.«
»Na ja …«
»Doch. Sie sind eine eifrige Leserin. Na gut, Sie sind schließlich auch mit einem Schriftsteller verheiratet! Aber ich lese nur Krimis. Ich war wirklich überrascht« – wieder ging sie durchs Zimmer, um sich ihr Zigarettenetui zu holen –, »als Ihr Mann mich bat zu bleiben.«
»Na ja …«, sagte Daphne verlegen, »ich nehme an, er braucht einfach etwas Abwechslung von dem ganzen Brimborium um seinen Bruder.«
»Oh, vielleicht. Ich frage mich …«, sagte Eva, die sich nicht gleich in diese Rolle einfinden wollte.
»Wir können uns nicht von morgens bis abends nur mit Cecil befassen, man würde ja verrückt! – Sagen Sie, dürfte ich mir eine Zigarette von Ihnen borgen?«
»Selbstverständlich, meine Liebe, ich wusste ja nicht …«, sagte Mrs Riley, als sie zurückkam und ihr lässig, aber mit einem eindringlichen Blick das Etui hinhielt.
»Danke schön.« Daphne versuchte ihre Schamröte, die ihre rebellischen Gefühle deutlich offenbarte und Mrs Rileys kluge Taktik bestätigte, zu bezwingen. Sie wandte sich ab, zündete ungeschickt ein Streichholz an und hielt es dann Eva hin, wobei sie es geistesabwesend hin und her bewegte, um ihre Anspannung zu verbergen, sodass Eva sich bücken musste und lachte. Als sie beide schließlich ihre Zigaretten rauchten, sah Eva ihr offen, leicht amüsiert ins Gesicht, während sie den Rauch seitlich ausstieß.
»Ich bin froh, dass Sie nichts dagegen haben«, sagte sie, und dann: »Aber mal ehrlich, finden Sie es nicht manchmal ein klein wenig bedrückend, dass Cecil hier gleich nebenan liegt? Möchten Sie das Ganze nicht manchmal einfach nur noch vergessen? Ich muss Ihnen gestehen, ich habe den Krieg gründlich satt, und ich glaube, so geht es vielen Menschen.«
»Ach, ich habe ihn eigentlich gerne hier«, sagte Daphne nicht ganz aufrichtig, sah darin aber eine Möglichkeit, ihre grundsätzliche Ablehnung gegenüber Eva zu kanalisieren. »Wissen Sie, ich habe nämlich auch einen Bruder verloren, aber das wird hier immer vergessen.«
»Meine Liebe, ich hatte ja keine Ahnung.«
»Nein, woher auch«, sagte Daphne unwillig.
»Im Krieg verloren?«
»Ja, kurz nach Cecil. Darüber standen keine Artikel in der Times .«
»Möchten Sie mir mehr über ihn erzählen?«
»Er war ein Schatz«, sagte Daphne. Sie stellte sich ihre Mutter vor, hinter der dicken Eichentür zur Bibliothek, und dass sie diese Geschichte wohl für sich behalten würde.
Eva setzte sich hin, als wollte sie Daphne noch mehr Aufmerksamkeit schenken, warf das Sofakissen beiseite, um Platz neben sich zu schaffen, doch Daphne blieb stehen. »Wie hieß er?«
»Oh … Hubert. Hubert Sawle. Er war mein älterer Bruder.« Es war heikel, doch der Anstand verpflichtete sie jetzt, Eva wenigstens in knappen Worten von der schweren seelischen Qual zu erzählen. Als sie ans Fenster trat, war Revel verschwunden, und im ersten Moment verließ sie der Mut, doch dann sah sie ihn wieder im Gespräch mit George – sie erkannte ihre Köpfe und Schultern, die sich gemächlich zwischen den Hecken bewegten. Jetzt hielt George ihn
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