Fremden Kind
als führte er eine Einsatzbesprechung. Diejenigen, die ihn ansahen, hatten auch Louisa unmittelbar im Blick, die eine ernste und sorgenvolle Miene machte, fixiert auf den silbernen Salzstreuer vor ihr. Zum Glück erzählte er nicht die Geschichte von Cecils Tod, sondern das berühmte Ereignis, als Cecil drei seiner verwundeten Männer unter Feuerbeschuss heimholte und dafür mit dem Military Cross ausgezeichnet wurde. Der Colonel skizzierte die Situation mit großspurigen Begriffen, requirierte den Salzstreuer und verwandelte ihn in einen deutschen MG -Posten. Den detaillierteren Bericht über die Episode trug er mit Ehrgefühl und einer Überzeugung vor, die durch seine zurückhaltende Art noch verstärkt wurde. Dennoch war Daphne, und möglicherweise noch andere am Tisch, enttäuscht, dass er sich nicht deutlicher von zig anderen Berichten über ähnliche Kriegserlebnisse abhob. Damals hatte er einen pracht vollen Brief an Louisa geschrieben, Cecil auch für die Medaille vorgeschlagen, und seine jetzige Wortwahl orientierte sich weitgehend an der von vor zehn Jahren. Dudley und Mark, die bereits ähnliche »Darbietungen« erlebt hatten, hatten sich diese wahrscheinlich frischer vorgestellt. Während Colonel Fountain sprach, wanderte Daphnes Blick durch den Raum. Es war der Raum, den sie am meisten mit Cecil verband, vom Tag ihrer ersten Begegnung an, und der jetzt auf das Feinste hergerichtet war, mit Kerzen, deren Schein in den leicht schräg abstehenden Wandspiegeln und dem matten Blattgold der Kassettendecke reflektierte. Auf der anderen Seite des Raums, von einer elektrischen Lampe beleuchtet, hing das Raffael-Porträt eines jungen Mannes mit Hut. »Ich weiß auch nicht genau, wie er das geschafft hat«, sagte der Colonel. »Der Nebel hatte sich so gut wie verzogen, der Mann hatte nicht die geringste Deckung.« Sie wusste, dass Revel diesen Raum genauso mochte wie sie, und sie nahm sich Zeit, bis ihr Blick bei ihm angelangt war und sich auf ihm niederließ, was er sofort spürte und mit einem Augenaufschlag erwiderte.
Das Dinner nahm seinen weiteren Verlauf in der Seligkeit dreier aufeinanderfolgender Weine, doch Dudley, obwohl be trunkener, gab sich mehr Mühe, nicht die Fassung zu verlieren. Daphne hatte beschlossen, Revel besser nicht mehr so oft unverhohlen anzuschauen, und bald hatte sie den Eindruck, dass er genauso entschieden hatte – das war lustig, drohte aber peinlich zu werden. Sebby musste sich einige Fragen nach den Bergarbeitern gefallen lassen, und seine Antworten gaben ihnen allen das Gefühl, im Zentrum des Geschehens zu sein, ohne dass er irgendetwas preisgegeben hätte. Mark fühlte sich stärker als die anderen zum Widerspruch herausgefordert, und es wurde deutlich, dass er Sebby nicht leiden konn te. Er redete viel Unsinn oder machte kluge Bemerkungen, die sich wie Unsinn anhörten, sprach über seine Erfahrungen, über seine Jugend die er hinter einer Metzgerei in Reading verbracht hatte, bis Dudley, der es sich als Einziger erlauben durfte, sagte: »Mein lieber Mark, du musst lernen, nicht auf diejenigen herabzublicken, die ohne deine Benachteiligungen aufgewachsen sind.« Ein lautes, gebührendes Lachen machte die Runde. Daphne fühlte sich auf unheimliche Art an die Anfangszeit ihrer Ehe erinnert, an die tranceartige Freude und das unbändige Glück der Erwartung, in die Dudley sie versetzen konnte. Er erstrahlte im Kerzenlicht und der Gewissheit seiner eigenen Schönheit. Doch ihr wiedererwachtes Begehren konzentrierte sich auf Revels schmale Künstlerhände, die entspannt auf dem Tischtuch ruhten, als warteten sie auf jemanden, der sie aufhob. Dann auf einmal wurde es Zeit für die Damen, sich zurückzuziehen – Initiative zu ergreifen, entspannt und entschlossen, wobei sie sich noch immer, besonders an einem Abend wie diesem, wie die unreife Thronfolgerin ihrer Schwiegermutter vorkam.
Als etwas später die Männer nachkamen, wurde Colonel Fountains Chauffeur aus dem Esszimmer des Personals geholt, und sie brachen umgehend nach Aldershot auf. Daphne, ziemlich angesäuselt, brachte ihn zur Haustür. Sie schüttelte die Hand des Colonels mit beiden Händen, aber es fiel ihr kein Wort zum Abschied ein. Der alte Herr hatte sie zwar etwas enttäuscht, aber die Dinnergesellschaft hatte ihn auch nicht gerade fair behandelt.
Als sie in den Salon zurückkehrte, war die Rede von einem Spiel. Die von der Idee Begeisterten verleugneten ihr Interesse, die anderen täuschten höflich vor,
Weitere Kostenlose Bücher