Fremden Kind
Mark. »Stinker, Winker!« Stinker widerstand allen Rufen, und kurz darauf sah Daphne ihn mit einem Glas in der Hand vorm Fenster vorbeigehen und im sicheren Schutz des Gartens untertauchen. Heute Abend stand ein großer Mond am Himmel, offenbar wollte er ihn sich angucken.
Nach dem Foxtrott sagte Flo: »Kommt, wir gehen nach draußen, frische Luft schnappen.« Daphne sah Revel an. »Oh, gute Idee«, sagte er mit einem hinreißenden Lächeln, das für einen Moment auf ihr ruhen blieb, bevor es vorsorglich von ihm abfiel. Alles eilte zur Haustür, ein Drängen, ein Schimpfen, dann schmetterte Mark, der schon in der Einfahrt stand, auf die Melodie von »Nehmt Abschied, Brüder« lustvoll die Zeile: »Wir sind hier, weil wir hier sind, weil wir hier sind, sind wir hier«, was Daphne ausgesprochen rücksichtslos fand, so manchen Soldatenliedern, die Dudley und er anstimmten, wenn sie betrunken waren, allerdings immer noch vorzuziehen, »Christmas Day in the Workhouse« zum Beispiel, das er als Nächstes sang.
»Sagen Sie Mark, er möchte damit aufhören«, bat Daphne Flo, die offenbar sofort begriff; in der nächtlichen Stille würde man oben in Louisas Schlafzimmer jedes Wort verstehen.
»Kommst du auch raus, Dud?«, sagte George, der noch immer nach Luft rang und mit seiner guten Laune auch seinen Schwager anstecken wollte.
»Hä …? Oh, nein, nein«, sagte Dudley, machte eine Drehung mit dem Klavierstuhl und wieder zurück und griff nach seinem Glas. »Nein, nein, geht nur. Ich bleib hier und lese.«
»Oh …«, sagte Tilda entzückt und ebenfalls immer noch außer Atem. Dudley erhob sich mit einem dumpfen, schon abwesenden Lächeln, strauchelte und plumpste schwerfällig auf die Kante des Stuhls, der daraufhin über den kahlen Boden nach hinten schoss. Noch im Fallen holte Dudley aus, um sich an der Klaviatur festzuhalten, George duckte sich vor dem durch die Luft fliegenden Kristallglas, und Daphne rannte zu dem Stürzenden, bekam aber nur noch seinen Ellbogen zu fassen, während er nach hinten kippte und wütend »Pass auf!« schrie, als würde sich jemand anders in Gefahr bringen. »Oh!«, entfuhr es Tilda erneut. Dudley blieb sekundenlang liegen, richtete sich dann auf wie der Sterbende Gallier, stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab, den Blick gesenkt, als könnte er sich gerade noch beherrschen, und hob dann eine Hand, ob um Hilfe zu bitten oder sie abzuwehren, war nicht zu erkennen. Daphne verschlug es den Atem vor Schreck und Mitleid, gleichzeitig musste sie kichern vor kindischer Freude.
»Nein, nein, mir ist nichts passiert«, sagte Dudley und sprang federnd auf, als steckte noch immer ein Soldat in ihm, nur im ersten Moment etwas wacklig auf den Beinen. Er zuckte zusammen vor Schmerz, was er mit einem sarkastischen Lachen überspielte. Hemdbrust und Manschetten trieften vor Whisky.
»Ganz bestimmt nicht, alter Knabe?«, sagte George. Dudley antwortete nicht, würdigte ihn nicht mal eines Blickes, schritt mit angeschlagener Würde durch die Halle, riss die Tür auf, verschwand im Kuhkorridor und ließ laut krachend die Tür hinter sich zufallen.
»Geht ruhig schon vor«, sagte Daphne zu den anderen. Mit gewohnter Entschlossenheit stiefelte sie hinter Dudley her, doch lauerte ein neues Gefühl auf sie, dass sich hier nicht nur etwas wiederholte, sondern dass alles noch viel schlimmer kommen würde.
Sie fand ihn im Toilettenraum, und als er vom Waschbecken aufblickte, war sein nasses Gesicht gefährlich rot. Die Venen an den Schläfen standen hervor, als hätte man ihn gewürgt. Erst nachdem er sich abgetrocknet und das Haar nach hinten gestrichen hatte, kehrte die alte Farbe in sein Gesicht zurück, und er sah fast wieder normal aus. Daphne fielen diverse Vorwürfe und Erklärungen ein, aber es wäre sinnlos gewesen. Sie sah ihm dabei zu, wie er mit dem feuchten Handtuch das Revers abtupfte und es dann auf den Boden warf, eine Angewohnheit von ihm. Dann lachte er ihr Spiegelbild an, ein kurzer Moment des Zweifels, während er ihren Blick suchte, ein alter Trick, den er ohne nachzudenken anwandte. »Ach, meine gute Duff.« Er drehte sich um und taumelte auf sie zu, seine Zähne feucht und glänzend; schwer legten sich seine Arme um ihre Schultern, nicht um die Taille, und dann küsste er sie und küsste sie, züngelte in sie hinein, als müsste er an etwas herankommen. Sie wusste nicht, was sie ihm hierbei noch bieten konnte, alles, was sie davon hatte, war eine Reihe geballter
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