Fremden Kind
wahr? Es würde niemand schreiben: ›Captain Valance war ein Ungeheuer.‹«
»Nein, das wohl nicht«, sagte Sebby mit einem aufflackernden Lächeln.
»Wie wollen Sie Ihr Buch nennen? Einfach nur Gedichte ?«
»Vielleicht eher Gesammelte Gedichte . Louisa schlägt Das dichterische Werk vor, was Ihrem Mann zu sehr nach Felicia Hemans klingt.«
»Da muss ich ihm ausnahmsweise recht geben«, sagte Daphne. Plötzlich ein Dröhnen in der Ferne, wie von einem Flugzeug, und wenig später brauste puckernd ein brauner Bäckerwagen, Marks und Flos Art, sich fortzubewegen, in die Einfahrt.
»Er findet ihn so praktisch für seine Bilder!«, erklärte Daphne, rief ihnen munter etwas zu und hatte doch das Gefühl, dass sie auf diesen Abend absolut nicht eingestimmt war. Als Mark in angemessener Abendgarderobe aus der Fahrerkabine kletterte, war sie so erleichtert, dass sie George und Madeleine, die gerade hereinkamen, zur Begrüßung küsste, womit sie nicht gerechnet hatten. Hinter ihnen, in der Halle, stand ihre Mutter und außerdem Revel, der den Kamin inspizierte, während Eva Riley den Kopf durch eines der Turm fensterchen steckte. »Absurd!«, sagte sie. »Einfach nur scheuß lich!« Die Party war in Gang gekommen, und Daphne tat mutig so, als würde sie ihren Verlauf steuern – verständlich, dass ihr schwindlig wurde, als sie an Fahrt aufnahm. Ihre Mutter sagte leise, Clara sei sehr müde und habe darum gebeten, das Essen auf ihrem Zimmer einnehmen zu dürfen. Daphne hatte so etwas kommen sehen, und es machte eine neuerliche Änderung der Sitzordnung nötig, doch diesmal sagte sie nur Wilkes Bescheid, sollte er sich etwas ausdenken. Sie ging in den Salon und gönnte sich den nächsten Drink.
Mark und Eva Riley kannten sich bereits, wie sich herausstellte, was ganz günstig war, aber auch leicht irritierend. In seiner fröhlichen, unterschwellig aggressiven Art nannte er sie »altes Mädchen« oder auch »Eva Brick«. Diese Freundschaft, die offenbar schon lange bestand, wurde vor den anderen Gästen demonstrativ, ja übertrieben, zur Schau gestellt. Sie hatten zahlreiche gemeinsame Freunde, von denen wiederum keiner der Anwesenden auch nur einen einzigen persönlich kannte. Mark hielt das Gespräch über diese offenbar faszinierenden abwesenden Personen verbissen in Gang, als wollte er eine höfliche Konvention parodieren. »Was treibt denn der gute Romilly so?«, wollte er von ihr wissen, oder: »Wie hast du bloß Stella aufgetrieben?«
»Oh, sie war in Höchstform«, sagte Eva mit einem wissenden Lächeln, vielleicht sogar leicht verlegen. Sein »Gefängnis« an so prominenter Stelle im Raum hängen zu sehen schien Mark zu beflügeln, und es repräsentierte ihn gewissermaßen, als eine Provokation, eine ungezähmte Gestalt, allen anderen weit voraus.
Wie bereits tags zuvor zeigte sich Dudley in gefährlich übermütiger Laune, nachdem er in der von seiner Frau und seiner Mutter so sorgfältig orchestrierten Abendgesellschaft seine eigene kleine Runde durchgeboxt hatte. Selbst Colonel Fountains Ankunft bot ihm Gelegenheit für einen bösen Scherz. »Colonel, den General kennen Sie ja bereits«, stellte er dem Ankommenden seine Mutter vor, was den alten Herrn im ersten Moment aus der Fassung brachte. Daphne hatte sich Colonel Fountain als eine barocke Figur vorgestellt, jemand, der gerne ein Gläschen trank; tatsächlich war er ein stiller, asketisch aussehender Mann, der seit dem Krieg in Frankreich auf einem Ohr taub war und schon Schwierigkeiten hatte, einem einfachen Gespräch zu folgen. Aus Höflichkeit schloss er sich Louisa an, wich nicht von ihrer Seite, wie ein alter Onkel auf einem Kindergeburtstag, unsicher, ob er all die um ihn herumschwirrenden Namen richtig verstanden hatte.
Als Letzte, von ihrem Chauffeur abgeliefert, trafen die Strange-Pagets ein und wurden in den lärmenden Salon gebeten, wo Dudley sie mit theatralischen Gesten vorstellte. Die Gesellschaft war vollständig, da öffnete sich die Tür erneut, und das Kindermädchen erschien mit Corinna und Wilfrid für ihre halbe Stunde unten bei den Erwachsenen. Es war nicht gerade der günstigste Moment. Daphne sah, wie der Blick des Kindermädchens zu Dudley ging, der ihn starr erwiderte, und hinter seiner ausdruckslosen Maske formierte sich Empörung. In die übliche Servilität des Kindermädchens mischte sich etwas ungewohnt Aufmüpfiges. Heute wären die Kinder besser oben geblieben – andererseits hatten sie sich speziell auf diesen Abend
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