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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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nächtliche Darbietung, die den Anschein gab, als wüsste sie den Weg. Sie dachte, dass Eva ihr vielleicht nachstellen würde, doch als sie sich umschaute, war nichts von ihr zu sehen – irgendwo aber musste sie sein, lauern, sinnieren und ihren blauen Dunst in die Nacht hinausblasen. Daphne erreichte schließlich den Steinplattenweg am Haus, festen Boden unter den Füßen, und in dem Moment, als ihr eine dunkle, zusammengekauerte Gestalt auf der Bank neben dem Weg auffiel, griff diese auch schon nach ihrer Hand – »Nicht reingehen …«
    »Oh! Mein Gott, wer ist das? Ach, Tilda …«
    »Entschuldigen Sie, Darling, entschuldigen Sie …«
    »Sie haben mich zu Tode erschreckt.« Tilda ließ ihre Hand nicht los.
    »Ist das nicht ein wunderschöner Abend?«, sagte sie. »Wie geht es Ihnen?« Und dann: »Ich mache mir große Sorgen um Arthur.«
    Im ersten Moment kam Daphne nicht darauf, wen sie meinte. »Ach so, ja, Stinker … Aber warum denn, Tilda?« Unwillkürlich hatte sie sich hingesetzt, auf die Kante, und schob, als hätte sie es mit einem Kind zu tun, die unaussprechliche Angelegenheit mit Mrs Riley erst mal beiseite. Tilda starrte sie an, die Fröhlichkeit der Abendstunden war aus ihrem kleinen weißen Gesicht gewichen. Hatte der Alkohol sie berauscht? In ihrer Angst schien sie Daphne mit ungewöhnlichen Kräften auszustatten.
    »Haben Sie ihn gesehen?«, sagte sie.
    »Wen? Stinker?«, sagte Daphne. »Der geht hier irgendwo spazieren. Es ist ihm bestimmt nichts passiert, Darling.« Normalerweise nannte sie Tilda nicht so, so wie zu Stinker auch niemand Arthur sagte. Eigentlich war Tilda für sie immer wie eine jüngere Tante gewesen, einfältig, harmlos, ihr zugetan ein Leben lang.
    »Er benimmt sich in letzter Zeit so seltsam, finden Sie nicht?«
    »Ja?« Wenn Sie überhaupt mit dieser Frage behelligt werden wollte, dann hätte sie sich Stinker lieber noch viel seltsamer gewünscht.
    »Bin ich verrückt? Glauben Sie, dass er sich mit einer anderen Frau trifft? Nein. Oder doch?«
    »Stinker? Gewiss nicht, Tilda!« Es war zum Lachen, und vor Tilda zu lachen war erlaubt. »Nein, das glaube ich nicht.«
    »Oh! Oh, Gott!« Tilda schien fast erleichtert. »Ich dachte, dass Sie es wissen müssten.« Auf einmal wankte sie und schaute sie prüfend an. »Und warum nicht?«
    Daphne musste sich ein erneutes Lachen verkneifen. »Aber das sieht doch jeder, Tilda: Stinker betet Sie an.« Und dann, eher gedankenlos: »Und überhaupt, wer sollte es sein?«
    Tilda lachte kurz, stutzte dann aber. »Ich dachte, es ist vielleicht, weil wir keine …« Im selben Moment sah Daphne Revel durch die Terrassentür nach draußen treten und suchend den Weg ablaufen, weil er offenbar ihre Stimmen gehört hatte. Sie wusste, was Tilda hatte sagen wollen: weil sie keine Kinder hatten.
    »Kommen Sie«, sagte Daphne, stand auf und griff jetzt umgekehrt nach Tildas Hand, um ihre Schroffheit zu kaschie ren. Alles Weitere zu diesem Thema wäre unerträglich ge worden.
    »Ach, ich bleibe lieber hier sitzen und warte auf ihn«, sagte Tilda, die, noch ganz benebelt und eingenommen von ihren Sorgen, nicht wahrnahm, was sich anbahnte.
    »Na gut, Darling.« Daphne fühlte sich wie vom Schicksal befreit und gleichermaßen gefordert und rannte den Weg entlang.
    »Oh, Duffel, Darling, komm« – Revel berührte sie am Arm, als sie das Haus gemeinsam betraten, und brauchte fünf lächelnde Sekunden, bis er den Satz vollenden konnte: »wir gehen nach oben und gucken den Kindern beim Schlafen zu.«
    »Oh, ja«, sagte Daphne, »wie konnte ich nur …«, als wäre es ein großes Versäumnis, dass sie ihm dieses Vergnügen nicht schon vorher angeboten hatte. Sie sah ihn an, und ihr Kichern klang etwas reumütig. Sie hätte bestimmt nicht schlafen können bei dem lauten Hickory-Dickory-Rag, glaubte sie, auch nicht zwei Stockwerke über dem Salon. Jetzt fiel ihr auch das andere schreckliche Erlebnis des Abends wieder ein, an dem echten Klavier – ein Segen, dass sie das für einige Stunden verdrängt hatte.
    »Dudley ist ins Bett gegangen«, sagte Revel rundheraus und freundlich.
    »Gut.« Nach dem Garten war der Salon ein Lichtermeer; in ihrer Abwesenheit war aufgeräumt worden, immer wurde hier alles perfekt aufgeräumt. »Hast du noch was zu trinken?«, fragte sie.
    »Einen Port in jeder Hand«, lautete Revels etwas kryptische Antwort.
    »Ich glaube, mir reicht es für heute«, sagte Daphne und sah zu dem Tablett mit Flaschen, darunter einige vertraute

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