Fremden Kind
Widerlichkeiten, saure Ausdünstungen von Whisky und Zigarren in ihrem Gesicht. So etwas hatte er seit Jahren nicht mehr gemacht, es war wie ein stürmischer kurzer Gruß aus der Zeit, als sie noch miteinander schliefen. Er trat zurück, schüttelte sie sanft und aufmunternd, wie einen guten alten Freund, dann humpelte er davon, hielt den Kopf mal gesenkt, mal hoch, als hätte er eine neue Mission zu erfüllen, die unausgesprochenen Vereinbarungen der Wahnsinnigen und Weinseligen. »Na komm, Duffel«, rief er ihr über die Schulter zu, als er die Tür zur Halle öffnete. Sie blieb stehen und sah zu, wie sie hinter ihm wieder ins Schloss fiel.
»Oh Schreck, möchte uns Dudley nicht Gesellschaft leisten?«, sagte Eva, als sie nach draußen auf den Steinplattenweg trat.
»Nein, er kann nicht«, sagte Daphne mit einiger Genugtuung in der Stimme und legte sich ihre Stola um. »Er geht nachts nicht gern nach draußen.«
»Ach, grundsätzlich nicht?«, sagte Eva. »Komisch …« Eine Spur Hohn mischte sich in ihren misstrauischen Ton, sodass Daphne sich unwillkürlich fragte, ob Eva vielleicht schon mal nachts mit ihm draußen gewesen war.
»Wissen Sie, er spricht nicht darüber. Es ist so eine Geschichte bei ihm …«
»Eine Geschichte bei ihm … hm.«
»Kommt Dud nicht nach draußen?«, fragte Mark, der plötzlich hinter ihnen stand und eine Hand auf ihre Hüfte legte – auf ihre und auf Evas.
»Nein, mein Lieber, das müsstest du doch wissen«, sagte Daphne und erklärte, an Eva gewandt, wobei sie versuchte, Marks fordernden Griff zu ignorieren: »Es ist so eine Geschichte aus dem Krieg. Eigentlich sollte ich darüber gar nicht sprechen …« Ihr Zögern geriet auf dem Steinplattenweg, zwischen den langen Streifen verschütteten Lichts aus den Salonfenstern, die alle Schatten noch dunkler machten, zu einem kleinen Auftritt. »Ein guter Freund von ihm wurde im Krieg getötet, direkt neben ihm, von einem Scharfschützen erschossen. Sie hatten ihn im Mondlicht gesehen, und deswegen kann er kein Mondlicht ertragen.«
»Mein Gott«, sagte Eva.
Daphne blieb stehen. »Er hörte den Schuss und sah das Loch in der Stirn des Jungen, wie eine schwarze Blume, die sich öffnet. Der Junge war tot. Und alles passierte direkt neben ihm.« Sie hatte die Geschichte verpatzt, die Dudley bei sehr seltenen Gelegenheiten mit zitternder Hand und zugeschnürter Kehle erzählte und die zu erzählen ihr eigentlich nicht zustand. Sie spürte sowohl das Grauen als auch die unglaubliche Poesie darin so deutlich, dass sie kaum mehr wusste, ob sie sich als Dudleys Beschützerin oder Verräterin sehen sollte – offenbar war beides untrennbar miteinander verbunden. »Und dann kommt natürlich noch die Geschichte mit Cecil hinzu, Sie wissen schon …«
»Wurde er auch bei Mondschein getötet?«, fragte Eva.
»Nein, das nicht, aber es war auch ein Scharfschütze. So fügt sich alles zusammen«, sagte Daphne. Tatsächlich wäre es kaum möglich, sich Traumata anderer Menschen ständig bewusst zu sein.
Kurz darauf verließ Mark sie – sie sah ihn geduckt zum Heckenlabyrinth laufen, um Tilda und Flo aufzulauern, die zwischen den mondbeschienenen Klematisranken spazierten. Sie wollte nicht allein mit Eva zurückbleiben und sah sich nach Revel um, den sie in der Nähe zusammen mit George lachen hörte … dennoch, die Gelegenheit war günstig: »Ich weiß eigentlich nichts«, murmelte sie. »– Gut, Sie haben sich auch nie dazu geäußert – ich meine … über Mr Riley.«
»Ach, du liebe Güte …«, sagte Eva mit einem leisen heiseren Lachen, amüsiert und gleichzeitig verlegen.
»Ich will nicht neugierig sein.«
»Was den alten Trev betrifft? Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
»Lebt er denn nicht mehr?«
»Oh, doch, Gott bewahre … obwohl, er ist schon in einem etwas fortgeschrittenen Alter.«
»Ah, ja«, sagte Daphne. Wie alt Eva war, wusste allerdings auch niemand genau. »Ich dachte, er sei vielleicht im Krieg umgekommen.«
»Kein bisschen«, sagte Eva. Sie wirkte verschlossen und doch aufgeregt. Barbusige Nymphen um sie herum hoben händeringend die Arme, als sie, wie in stillschweigender Übereinkunft, in den Weg zum Fischteich einbogen. Farben waren keine zu erkennen, doch im Mondlicht schien es so, als stünde der Garten kurz davor aufzublühen, als offenbarten sich bereits schwache Rot- und Violetttöne zwischen dem Grau. Daphne drehte sich um und sah zum Haus, das sich jetzt von seiner romantischen Seite zeigte. Sie
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