Fremdes Licht
Wandschirme erloschen, ließ man sich
in die Trance der Einheit sinken, um das zu tun, was die Toten nicht
mehr konnten.
31
Kein Wachposten hielt den Eindringling auf. Dahar durchquerte
unbehelligt das jelitische Waldgelände. Als sich der Wald
lichtete, verhielt er den Schritt. Vor ihm lag die Kommandohalle, auf
einer weiten, grasbewachsenen Lichtung, ein wuchtiger, von der Nacht
geschwärzter Monolith mit scharfen Ecken und präzisen
Kanten.
Er war noch im Dunkel zwischen den letzten Bäumen, als Ischak
ihn erspähte. Ischak, der etliche Jahre älter war als
Dahar, blieb in dem verwaisten Torbogen stehen, in der einen Hand das
Kugelrohr, in der anderen ein Messer, und wartete.
Dahar kam bis auf zehn Lanzen heran, er ließ seine Waffen
stecken. »Ischak, laß mich durch. Ich will zur
Oberkommandierenden.«
»Nein.«
»Handelst du auf Befehl?«
»Ja. Sie empfängt keine Bürger.« Er ließ
Dahar einen Moment Zeit, um darauf einzugehen. Als Dahar nicht
reagierte, fuhr er fort. »Aber ich soll dir etwas ausrichten von
ihr.«
»Was?«
»Ab morgen läßt dich kein Wachposten mehr
passieren. Es ist dir verboten, die Kriegerhalle zu betreten. Dir
gehört nur, was du am Leib trägst. Entweder du ziehst in
die Bürgerhalle, oder du verläßt endgültig unser
Territorium. Wage es nicht, zurückzukommen. Die Krieger haben
den Befehl, dich ohne Anruf zu töten.«
»Als wäre ich ein Bürger auf Bewährung«,
sagte Dahar gleichmütig.
»Du bist ein Bürger auf Bewährung.«
»Selbst ein… Bürger darf um eine Audienz beim
Oberkommandierenden ersuchen, vorausgesetzt, er hat einen triftigen
Grund.«
»Die Oberkommandierende hat dein Ersuchen bereits
abgelehnt.«
Einem Reflex folgend, blickte Dahar in das trübe Halbdunkel
der Halle und schätzte die Entfernung zur Leiter. Ischak sagte
betont leise: »Laß es bleiben, Dahar.«
Dahar sagte nichts, aber Ischak beantwortete die unausgesprochene
Frage wie unter Zwang: »Ja, ich würde nicht zögern,
Dahar.«
»Ohne das Kugelrohr könntest du mich nicht
aufhalten.«
»Aber ich habe eins in der Hand.«
»Ja«, sagte Dahar. »Du hast eins in der
Hand.«
Er konnte nicht kämpfen. Er konnte nicht denken. Er hatte
seit sechsunddreißig Stunden kein Auge mehr zugetan;
sechsunddreißig Stunden, das war – nicht einmal das Wort
wollte ihm einfallen – ein ganzer Dreitag war das. Er
wollte jetzt nicht taumeln, er wollte nicht einmal schwanken vor
Ischak, der ihn daran hinderte, um seinen Kriegerstatus zu
kämpfen – und das mit einer Gedwaffe; dabei hatte er,
Dahar, darum gerungen, Jela diese Waffen zu sichern…
»Noch eins, Bürger«, sagte Ischak. »Belasir
hat mir gesagt, warum sie dich rausgeworfen hat. Mir wärst du
nicht so davongekommen. Für deine unverschämte
Insubordination hätte ich dich vorher noch auspeitschen lassen.
Und für diesen ›Pakt‹ – aber dafür
übernimmt sie ja die volle Verantwortung. Leider. Verraten und verkauft hast du uns, und jetzt müssen die, die
noch einen Funken Ehre im Leib haben, zusehen, wie sie damit
zurechtkommen. Und denke daran, Dahar, wann immer dir ein Delysier
unter die Augen kommt: dieser eine Soldat, dieser Kelovar, hat
genüßlich zugesehen, wie Jallaludin starb.
Genüßlich und triumphierend, hörst du. Das war nicht
der Triumph über die Vergeltung, das war niederträchtige
Schadenfreude! Und jedesmal, wenn diese drei Soldaten einem
jelitischen Krieger begegnen, dann schmecken sie diesen Triumph
– den Triumph, den du ihnen verschafft hast.«
Dahar starrte blicklos geradeaus.
»Ich soll dir noch etwas ausrichten von Belasir. Du
wärst ein Heiler; du dürftest weiter heilen. Aber keine
Krieger! Bürger, Huren, Delysier und Geds, wenn dir danach ist
– aber keine Krieger. Deine Finger sind zu schmutzig, um einen
Krieger zu berühren.«
»Hast du nicht ein paar Worte hinzugefügt?«
»Geh jetzt, Bürger.«
»Ischak – hast du?«
Ischak setzte einen Fuß vor und hob das Kugelrohr. Der
Krieger in Dahar machte sich sprungbereit.
Doch da war kein Krieger mehr in Dahar.
Dahar ließ es geschehen, daß er sich langsam von
Ischak abwandte.
Er ging den Weg zurück, den er gekommen war, ohne einmal zu
stolpern, bis er das jelitische Territorium hinter sich hatte. Der
Wroffpfad glänzte schwach in der Dunkelheit. Er trat immer
wieder daneben, kämpfte die Müdigkeit zurück, zwang
sich zu denken. Die Unterrichtshalle. Da war er am sichersten.
Wenn Khalids Soldaten erfuhren, daß Jela ihn verstoßen
hatte, war
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