Fremdes Licht
Liebhaber
kommen und gehen, aber Kinder und Schwestern und Brüder…
Embri lebt bei der Schwester meiner Mutter, und mein Bruder ist auch
da, wenn er nicht gerade… unterwegs ist.«
Dahar sagte tonlos: »Er ist Soldat.«
Die Nachwirkungen des Saftes, die Schmerzen und das unleidige
Gefühl, daß er ihr auf den Zahn fühlte, machten sie
ein bißchen zornig. »Ja, natürlich ist er Soldat. Was
soll er sonst sein, so wie die Dinge stehen zwischen Delysia und
Jela?«
»Ein Bürger wird kein Krieger.«
»Ein Bürger kann Soldat werden. Aber in Jela kann man
nur Krieger werden, wenn man eine Kriegerin zur Mutter hat,
richtig?«
»Mutter und Vater, beide müssen Krieger sein. In Jela
kennt jeder die Kaste seines Vaters.«
»Vor allem, wenn er das Kind einer Hure ist.«
»Ja.«
»Von Huren wie SaSa, die als Ausgestoßene leben, die
ihr benutzt, wie es euch gerade paßt, auch wenn die
›Hure‹ eine Kriegsbeute war, eine Delysierin.«
Er sagte gelassen: »Und das soll schlimmer sein als
Kämpfer, die von körperlich schwächeren Bürgern
abstammen, und Kämpferinnen, die ihre Kader verlassen
müssen, um Kinder zu gebären?«
»Ja«, sagte Ayrid. »Viel schlimmer!« Es war
sinnlos, ihre Enttäuschung schlug in Wut um. Er war und
bliebe was er immer gewesen war – ein jelitischer
Krieger.
Doch Dahar besah sich die Rücken seiner gespreizten
Hände, sein Blick pendelte stumpfsinnig von einer Hand zur
anderen. »Wir sind hier nicht in Jela, habe ich gesagt, wir sind
hier in R’Frow. Die Geds haben… die Geds sind… wie
soll ich sagen? Früher, da wußte ich genau… ich
meine… ich weiß es nicht, Ayrid.«
Er hatte schon viel zu viel gesagt. Sie sah ihm diesen Gedanken
an, als er die Hände auf die Knie legte, die Ellbogen nach
außen gespreizt, um sich zu erheben – sah den Ärger
in seinem abgespannten Gesicht. Noch bevor er richtig stand, streckte
sie die Hand aus und faßte nach seinen Fingerspitzen. Sie
rührte sich nicht mehr; das Bein pochte trotz der Droge; ihr Arm
hing gestreckt an seinen Fingern. Sie schloß ganz fest die
Augen und bereute im selben Augenblick diese kindische
Anwandlung.
Dahar stand eine ganze Weile still da, die Finger in Ayrids Hand,
spürte das Gewicht ihres Arms. Dann plötzlich, in einer
ungestümen Mischung aus Schwäche und Verzweiflung, fiel er
neben ihrem Lager auf die Knie und verdeckte die Augen mit der freien
Hand. Seine Lippen zuckten.
Sie zog seinen Kopf an ihre Brust, und Dahar streckte sich neben
ihr aus, und sie nahm ihn in die Arme. Ein übermächtiges,
krampfartiges Beben erfaßte seinen Körper – aber nur
einmal. Sie hielt ihn lange in den Armen, keiner sagte ein Wort. Zwei
Heimatlose, die einander festhielten.
Lange darauf, nachdem er geschlafen hatte, gewahrte sie, wie Dahar
den Kopf hob und sie ansah. Er hatte wie ein Stein geschlafen, den
regungslosen, tiefen Schlaf der Erschöpfung. Ayrid konnte nicht
schlafen; sie hatte schon den ganzen Tag lang geschlafen. Sie hatte
Angst gehabt, ihn durch eine Bewegung aufzuwecken, und sie hatte
Angst gehabt, ihn schlafen zu lassen, weil sie nicht wußte, wie
lange es noch bis zum Morgen war. Aber Dahar verfügte über
den geschärften Instinkt des Kriegers; er wachte von selbst auf
und hob den Kopf von ihrer Brust, um ihr Gesicht zu sehen. Er hatte
große, dunkle Ringe unter den Augen.
»Ich bin keine Hure«, flüsterte Ayrid.
»Nein. Nein.«
»Ich tue, was mir paßt, Dahar.«
»Dein Bein…«
»Ich fühle es nicht mal. Und ich tue, was mir
paßt. So wie du, als du hergekommen bist. Wie hast du
eigentlich mein Zimmer gefunden?«
Er lächelte schwach. »Das letzte rechts im dritten
Korridor. Ich hab das aufgeschnappt, als du dich mit einer Frau
unterhalten hast, in der Unterrichtshalle.«
»Und das hast du dir gemerkt.«
Er sah sich langsam im Zimmer um, sein Blick kletterte über
das wüste Durcheinander am Boden, über die Vorrichtungen,
die sie gebastelt hatte, um den ›Zwang‹ nutzbar zu machen,
den sie beide nicht verstanden. »Ja, das habe ich mir
gemerkt.«
Doch er hielt sich immer noch zurück: unsicher,
verstört. Ayrid hob ihre Lippen.
40
Grax beäugte den blanken Wandschirm. »Ja, das habe
ich mir gemerkt«, sagte Dahars Stimme soeben mit absoluter
Klarheit, doch der Schirm zeigte nur die Farbwirbel des Stoffs, den
Ayrid über den Monitor geklebt hatte. Der andere Schirm, den das
Bibliothekshirn als anomal deklariert hatte, blieb stumm und zeigte
den weißen, knittrigen Faltenwurf
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