Fremdes Licht
sie warf einen Blick auf den
zugeklebten Kreis neben der Tür. »Natürlich wissen sie
das.«
»Solange sie nichts dagegen haben, daß du die ganzen
Drähte und das Zeug hier hortest. Stütz dich ab, ich werd
dich ein bißchen nach da drehen. Tut das weh?«
»Ja«, ächzte Ayrid. »Ondur – traust du
den Geds?«
»Trauen? Wie meinst du das?«
»Ob du glaubst, was sie sagen: daß sie uns helfen
wollen, weil wir so wenig wissen und sie so viel?«
»Wir wissen genug«, erwiderte Ondur. Ihr Tonfall
erinnerte Ayrid an das inzwischen schon geflügelte Wort, mit dem
man die Fähigkeiten der Geds herunterspielte: Wir sind nicht
dümmer, nur weil sie uns überlegen sind. »Wir sind
in Delysia auch ohne die Geds zurechtgekommen«, sagte Ondur,
»und nach diesem Jahr, wenn sie fort sind, da werden wir…
da wird Delysia genauso zurechtkommen.«
»Gehst du wieder nach Delysia?« Reden, sie mußte
über Ondur reden, oder sie würde sich verraten. Gib auf
dich acht, Dahar…
Ondur gab keine Antwort. Wenn ihr Gesicht bisher ein Fenster
gewesen war, so hatte sie es jetzt zugeschlagen. Einen Augenblick
später sagte sie: »Was ich dich gestern schon fragen
wollte, Ayrid: was hattest du eigentlich bei dieser leeren Halle zu
suchen? Sie liegt viel näher bei den Jeliten als bei
uns.«
»Sie ist nicht leer. Da lebt dieses Mädchen, sie ist
jetzt mutterseelenallein. Es… es geht ihr gar nicht gut. Ich
wollte ihr eine Arznei bringen.«
»Ein Mädchen? Was für ein Mädchen?«
»Eine…«, sagte Ayrid vorsichtig, als schließe
sie einen Draht an eine unbekannte Verbindung von Zellen an,
»eine jelitische Hure.«
»Eine Jelitin! Warum wolltest du… ach ja. Ich hab davon
gehört. Hast du ihr nicht geholfen, als es ihrem Liebhaber so
schlechtging? Sie ist vor den jelitischen Kriegern zu ihm
übergelaufen, richtig? Dieser riesige weiße Barbar und das
winzige Mädchen… sie sieht nicht älter aus als elf.
Warum ist sie denn allein in der Halle? Was ist mit dem
Riesen?«
»Tot.«
Ondur wrang den Waschlappen aus. »Ein richtiges Kind
noch… sie kann einem leid tun. Die Krieger haben nur Spaß
dran, wenn sie einem Gewalt antun. Tiere. Vielleicht hat man sie den
Barbaren weggefangen – sie ist viel kleiner als jeder Jelite in
R’Frow. Hat sie mal jemand reden hören? Kann sie
überhaupt sprechen?«
»Ja.«
»Wie eine Jelitin?«
»Ja.«
»Und warum hast ausgerechnet du ihr geholfen?«
Gib acht! »Weil sie so klein ist. Ondur, hast du
jemals Kinder gehabt?«
Wieder schlug Ondur das Fenster zu. Sie stand auf. »Ich bin
fertig. Da steht was zu essen, Ayrid. Warte nicht, bis es kalt ist.
Ich komme später noch mal vorbei, nach dem Unterricht.«
»Ondur, verzeih mir. Ich wollte dir nicht zu
nahe…«
»Vergiß es!« sagte Ondur mit einer Stimme, die
sich überschlug. Sie kehrte Ayrid den Rücken zu und blieb
ein paar Herzschläge lang so dastehen. Als sie sich wieder
umdrehte, hatte sie ein strahlendes Lächeln aufgesetzt.
»Ich geh jetzt besser, sonst komm ich noch zu spät. Das
heißt… weißt du eigentlich, daß die Geds
gestern schon nach einer Stunde gegangen sind? Einer wie der andere,
und sie sind nicht mehr zurückgekommen. Dann sind wir
natürlich auch gegangen. Ich sollte… ich muß
mich…« Ihre Stimme machte einen seltsamen, vagen Sprung,
wie ein Wanderer, der über einen Stein hinwegsetzt. Dann wandte
Ondur sich ab und ging schnurstracks zur Tür.
»Ondur!« rief Ayrid ihr hinterher. Doch Ondur drehte
sich nicht mehr um.
Ayrid lag eine Zeitlang regungslos da. Sie dachte an SaSa, die
sich einsam in der Totenstille ihrer Halle grämte; an Ondur, die
sich womöglich mit Karim auf ihr Zimmer geflüchtet hatte,
anstatt zum Unterricht zu gehen; an Dahar – vor allem an Dahar,
weil sie nicht wußte, wo er jetzt war, weil sie vergessen
hatte, ihn nach seiner Bleibe zu fragen. Wo fand er Zuflucht? In der
Halle seiner Soldaten – seiner Krieger? Ob man ihn da
noch reinließ, wo er kein Krieger mehr war? In einer
jelitischen Bürgerhalle? In der Unterrichtshalle bei den
Geds?
Den Geds, die uns auf Schritt und Tritt beobachten. Es sei
denn, sie irrte sich, und die glühenden Ringe waren gar keine
Augen, sondern etwas vollkommen anderes, etwas aus einem Bereich der
Gedwissenschaft, von dem sie noch keinen blassen Schimmer hatte.
Ayrid faltete die Hände. Vielleicht waren das alles nur
Hirngespinste…
Sie schlief unruhig. Sie schreckte aus düsteren Träumen
auf, mit einem Ruck, der jedesmal ihr Bein in Brand
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