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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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wieder wie
zuvor im Dunkeln, und er sah ihr zum erstenmal ins Gesicht, die
schwarzen jelitischen Augen weit geöffnet. »Was für
ein Saft? Wo?«
    »Da. In dem Becher.«
    Er nahm den Becher an die Nase, schnupperte an dem Saft, nahm
einen Tropfen auf die Zunge, schmeckte. »Ja. Gut. Das hilft
gegen die Schmerzen.«
    »Danach hab ich einen ganzen Tag lang geschlafen.«
    »Jetzt nicht mehr. Der Sud steht schon zu lange. Aber
vielleicht geht dein Geist auf Wanderschaft.«
    »Wer weiß? Wenn ich dann laut werde und vielleicht doch
noch schreie, und jemand holt Kelovar, damit er
aufmacht…«
    Er warf einen kurzen, abschätzenden Blick auf die Tür,
den Blick eines Soldaten, dann wandte er rasch das Gesicht ab, als
wolle er für sich behalten, was immer sich darin spiegelte. Dann
drehte er sich wieder um und hielt ihr den Becher an die Lippen.
    Sie trank ihn in einem Zug leer.
    Die Konturen begannen sich aufzulösen, das Zimmer verschwamm.
Heillose Verwirrung; Finsternis, die keine war; Schreie, die nur in
ihrem Kopf sein mochten oder aus ihrem Mund kamen, und Wogen aus
Schmerz, in dem alle Bilder ertranken.
    Als sie das Schlimmste überstanden hatte, und die
Wirklichkeit wieder Gestalt annahm, da saß sie schniefend gegen
Dahar gelehnt, die Hände in seinen Arm gekrallt. Tränen
rannen ihr über die Wangen, und aus der zerbissenen Unterlippe
rann Blut.
    »Hab ich? Hab ich…« Sie hörte sich reden und
merkte, daß sie noch unter der Wirkung des Pflanzensuds stand;
sie fand nicht das Wort für das, wonach sie fragen wollte. Warum
wollte sie das wissen?
    »Nein. Nein, du hast nicht geschrien. Warte, ich muß
das erst noch festbinden.« Sie sah zu, wie er die Rinde
festband. War das ihr Bein?
    Das war eigenartig – sie war gleichzeitig sie selbst und
nicht sie selbst, und obwohl sie wußte, daß daran dieser
Saft schuld war, machte sie sich keine Sorge. Fast unbeschwert, so
als sei es ohnehin nicht von Bedeutung, sagte sie: »Und? Kann
ich jetzt wieder richtig gehen?«
    »Wenn es verheilt ist.«
    »Dahar…«
    »Mußt du dich übergeben?«
    »Nein.« Plötzlich lachte sie, das helle, leichte
Lachen eines Mädchens, so sehr im Widerspruch zu Blut und
Schmerz, daß sie erschrocken innehielt und die Stirn runzelte,
und dann lachte sie wieder. »Nicht übergeben. Reden
muß ich.«
    »Das macht der Sud.«
    »Nein. Doch. Heilt es auch bestimmt wieder?«
    »Bestimmt.«
    »Wieso bist du hergekommen?«
    Er gab keine Antwort. Sein Gesicht war nur mehr eine Maske aus
Erschöpfung und Verbitterung.
    »Du bist gekommen, weil du denkst, es sei deine Schuld, daß mich die zwei Jeliten überfallen haben,
weil du den Krihundspakt geplant hast.«
    Dahar verengte die Augen. Ayrid hatte sich wie aus weiter Ferne
reden hören, wußte, daß es teilweise dieser
Pflanzensaft war, der aus ihr redete, und daß sie ohne den Saft
nicht imstande gewesen wäre, ihm das ins Gesicht zu sagen. Und
sie bemerkte, wie sehr sie darauf aus war, ihm noch mehr zu sagen,
und daß auch daran dieser Saft schuld war – zum Teil
wenigstens.
    »Das hat dir Kelovar gesagt«, mutmaßte er.
    »Nein. Ich hab dir doch gesagt, Kelovar und ich sind fertig
miteinander. Ich hab dir das angesehen. Mit eigenen Augen. An der
Stadtmauer. Sie haben dich verbannt, hab ich recht? Aus
Jela.«
    Er erhob sich und ging um ihr Lager herum zur Tür. Leise,
immer noch wie aus weiter Ferne, sagte sie ihm hinterher: »Aber
das ist nicht der einzige Grund, weshalb du gekommen bist. Nein,
Dahar. Du willst dir selbst Gewalt antun, gib es zu. Du bist
gekommen, um dein Leben aufs Spiel zu setzen. Du bist gekommen, weil ich eine Delysierin bin. Wie jemand, der sich
Glassplitter in den Daumen reibt – absichtlich.«
    Dahar war auf halbem Weg stehengeblieben; er hatte sich umgedreht
und starrte sie an.
    »Ja«, fuhr sie matt lächelnd fort; dieser Saft
hatte sie irgendwohin verschleppt, in eine sichere Entfernung, aus
der sich gut reden ließ. »Eine Hand entstellen. Einer
Delysierin helfen. Im Glashof, da gibt es eine Redensart – ein
Sprichwort. Wenn der Glasofen zu heiß ist, dann sucht er den
Materialfehler. Hast du das schon mal gehört, Dahar? Nein,
natürlich nicht. Du hast nie mit Glas gearbeitet. Embri hat mich
mal danach gefragt, weil sie nichts damit anfangen konnte. Sie war
dabei, die blaue Flasche zu machen…«
    Wovon redete sie da? Embri…
    Beim Klang dieses Namens fielen ihre beiden Aufenthaltsorte wieder
zusammen, derjenige da draußen irgendwo in großer,
sicherer Entfernung

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