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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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pilgerten.
    »Ondur«, sagte Ayrid sanft, »ja, es sind die
Bakterien, die eine Krankheit verursachen. Aber die kann man nicht
handhaben wie Gift – die Jeliten können nicht einfach
Bakterien herstellen und damit jemanden infizieren.«
    Karims Blick rutschte von ihr ab und saugte sich an der leeren
Wand fest.
    Was immer sie sagte, schien Karim nur noch mißtrauischer zu
machen. Und diese eine Nacht mit Dahar… wie gut, daß er
nichts davon wußte.
    Ayrid faltete die Hände auf ihrem Schoß und
verschränkte die Finger so fest, daß die Knöchel
weiß hervortraten. Der Gedanke an Dahar tat weh. Dann
befingerte sie die Wroffbeule an ihrer Armlehne, hob den Stuhl leicht
an und setzte sich rücklings von Karim und Ondur ab. »Ich
fahre jetzt zur Unterrichtshalle.«
    »Geh mit ihr, Karim«, sagte Ondur. Sie sah Ayrid nicht
an.
    Karim erhob sich. Er und Ayrid folgten wortlos den Pfaden von
R’Frow, die Bäume verloren mit jedem Tag mehr Blätter,
der Strauch neben dem Ballonkraut siechte dahin. SaSa bildete die
Nachhut, lautlos und scheu. Als die Unterrichtshalle in Sicht kam,
sagte Karim unvermittelt: »Kelovar sieht es nicht gerne,
daß die jelitische Hure bei dir schläft.«
    »Das geht Kelovar nichts an!«
    »Er sieht es nicht gerne.«
    Ayrid drehte sich in ihrem Stuhl und sah zu ihm auf. »Und wo
bitte soll sie schlafen? Was schlägt Kelovar vor? Was
schlägst du vor, Karim? Hast du dir mal überlegt,
was passiert, wenn sie nicht hinter einem Daumenschloß
schläft?«
    Karims Hand machte einen ungeduldigen Schlenker, für Ayrid
nicht mehr als eine flüchtige Bewegung aufgesprungener Haut am
unteren Rand ihres Sehfeldes. Karim warf einen Blick über die
Schulter, sah aber sofort wieder geradeaus. Ayrid las Verwirrung in
seinem Gesicht: ihm tat SaSa leid, und er gab Kelovar recht, und das
eine vertrug sich nicht mit dem anderen. Sie merkte ihm an, daß
ihn dieser Zwiespalt störte, und daß er ihr die Schuld an
diesem Dilemma gab. Was er tat, tat er Ondur zuliebe.
    »Kommt das wirklich von Kelovar, Karim? Oder verbietet
Khalid, daß sie bei mir schläft?«
    Die Hand am Kugelrohr, musterte Karim das Buschwerk auf beiden
Seiten des Pfads.
    »Ob Khalid verbietet, daß sie bei mir
schläft?«
    »Noch nicht.«
    »Was heißt das? Daß Kelovar ihn überreden
will?«
    Wieder gab Karim keine Antwort. Die sture Art, wie er seinen
Unterkiefer vorschob, verriet Ayrid lediglich, daß er sauer
war. Seine Miene bot keinerlei Anhaltspunkt dafür, wie Khalid
sich entscheiden würde. Sie hatte Khalid nichts von dem
Vergrößerungsgerät erzählt, das keines war; sie
hatte ihm nichts über die sprechenden Helme erzählt; sie
hatte ihm nichts davon erzählt, daß jemand ihren Knochen
neu gerichtet hatte…
    Mit einemmal war ihr schlecht von dem ganzen Argwohn, den ganzen
Ungereimtheiten und der ganzen Geheimniskrämerei. Es nahm kein
Ende. Sie sagte unwirsch: »Von hier aus kann ich allein
weiter.«
    Karim wich nicht von der Seite ihres schwebenden Gedstuhls.
    »Also bitte, da vorne ist die Unterrichtshalle! Nicht mal
Ondur käme auf die Idee, ich könnte auf den letzten hundert
Schritt von einer Horde Bakterien angefallen werden!«
    Sie hätte erwartet, daß er jetzt wie Kelovar den
großen Beschützer hervorkehren oder wenigstens wie Jehanna
aus der Haut fahren würde. Aber nein, Karim tat nichts
dergleichen. Er duckte sich zu ihr herunter, bis auf Augenhöhe,
aber ohne das Gebüsch aus den Augen zu lassen. Aus seinen
Zügen sprach die jähe Bereitschaft eines Mannes, ein
ehrliches Wort zu riskieren.
    »Hör zu, Ayrid. Sei auf der Hut. Es gibt viele Delysier,
die… Ich glaube, Ondur hat ganz recht, wenn sie sagt, daß
es dich nur zur Unterrichtshalle treibt, weil du eine
Glasbläserin bist, und weil dich die Erfindungen der Geds an
deine Arbeit im Glashof erinnern. Ondur hat ein Gespür für
so was. Aber ich bin Soldat, und ich habe gelernt… Sei auf der
Hut, Ayrid.« Er richtete sich auf und machte kehrt.
    Sei auf der Hut.
    Erschrocken und zugleich gerührt, drehte Ayrid sich in ihrem
Stuhl und sah Karim nach, bis er außer Sicht war. Dann hielt
sie auf die Unterrichtshalle zu, schwebte durch den Eingang, dann den
Korridor hinunter, machte eine Rechtsdrehung – der Raum stand
offen. Im Türbogen hielt sie jählings ihren Stuhl an.
    Die Bodentischchen standen, wo sie immer gestanden hatten;
unversehrt, keine Kerbe, keine Schramme, kein Kratzer, Wroff schien
unzerstörbar zu sein. Aber darauf und ringsherum herrschte ein
Chaos.

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