Fremdes Licht
sogar beißen.
Kannst du sie denn halten – bei deinem Bein?«
»Das Bein ist, als ob es gar nicht da wäre. Ich werd
schon mit ihr fertig… sie ist so winzig.«
»Ja«, sagte Ondurs Stimme traurig.
»Winzig.«
Dahar stand von dem Vergrößerungsgerät auf und
ging zu einem zweiten Bodentischchen, auf dem ein Krihund lag. In der
Flanke war eine große offene Wunde zu sehen. Das Tier war
frisch erlegt; aus der Wunde sickerte immer noch ein bißchen
Eiter. So sorgfältig, wie er es von Grax gelernt hatte, schabte
er etwas Eiter aus der Wunde und gab ihn auf ein kreisrundes
Scheibchen aus klarem Wroff. Dann deckte er ein zweites Scheibchen
darüber; die Scheibchen zogen einander an, bis sie nur noch
durch eine einzelne Lage von Zellen getrennt wurden.
Ayrids Stimme sagte: »Es geht los!«
»Halt du sie auf der Seite fest. Oh…«
Eine andere kleine Stimme stöhnte, leise erst und dann immer
lauter und immer höher, ein klagender, schriller Wehlaut voller
Gram und Verzweiflung, der sich rasch zu Höhen verstieg, wie
kein Ged sie je aus einem Menschenmund vernommen hatte. R’gref
hielt sich die Ohren zu, roch nach Schmerz; das Bibliothekshirn
dämpfte die Lautstärke.
»Festhalten, Ondur!«
»Ich hab sie…«
Ayrids Stimme ächzte: »Wie lange hält das
an?«
»Ein bißchen noch – paß auf, sie
beißt! Das Zeug…«
»SaSa… SaSa…«
Auf dem Bildschirm war zu sehen, wie Dahar die Objektträger
in das Vergrößerungsgerät legte und Justierungen
vornahm; während er die Zellen intensiv studierte, krümmten
und spreizten sich seine Finger.
SaSas Klagelaut dehnte sich zu einem greinenden Schrei, der
ächzend zerbarst und sich in einem langen, dünnen Winseln
verlor, dem Winseln trostloser Einsamkeit. »Hör auf,
Kleines«, flüsterte Ondurs Stimme.
»Bitte…«
»Überlaß sie mir, Ondur.«
»Sie erkennt uns. Sieh nur, ihre Augen – sie kommt zu
sich. Sie erkennt uns.«
»O ja«, sagte Ayrid grimmig. »Und wie sie uns
erkennt.«
Dahar nahm die Eiterprobe aus dem Gerät und hob das obere
Scheibchen ab. Mit einer winzigen Pipette setzte er der Probe einen
einzigen Tropfen Antitoxin aus einer Zuchtschale zu, die er mit
Graxens Hilfe vorbereitet hatte. Er deckte das Wroffscheibchen wieder
darüber, legte die Objektträger in das Gerät
zurück und beugte sich wieder über das Wunderauge.
»Sie hat mich gebissen!« schrie Ondur.
»Sie kann nichts dafür – über laß sie
mir…«
Stille. Dann das wimmernde Weinen einer Frau,
herzzerreißend, aber ohne Wahnsinn, ohne Ende.
»Bitte, sie soll aufhören…«
»Blutest du?«
»Nein. Nur Abdrücke. Wieso ist sie bei dir so friedlich,
Ayrid?«
»Ich weiß auch nicht. Ich hab sie mal getröstet.
Weißt du was, Ondur? Wir hätten sie ebensogut in Ruhe
lassen können…«
Ondurs Stimme klang erschrocken. »Sie wäre verhungert.
Wir mußten sie wieder zur Besinnung bringen. Sie war… im
Finstern.«
»Und wo ist sie jetzt?«
Der leere Bildschirm gab keine Antwort.
Dahar starrte lange in das Vergrößerungsgerät.
Grax wußte, was sich darin abspielte: das Antitoxin
zerstörte die Bakterienzellen in der Eiterprobe. Es war
schlichte Biologie, wie man sie den Jüngsten vorführte,
sobald sie anfingen, Fragen zu stellen, selbst wenn die Fragen noch
weit abseits des Phänomens lagen – schlichte Biologie, die
zu entdecken die Geds eine Jahrtausende lange Evolution gebraucht
hatten, ein Prozeß, der so viele Jahrtausende zurücklag,
daß das Bibliothekshirn keinerlei Aufzeichnungen darüber
besaß – schlichte Biologie, wie Grax sie immer wieder
plastisch vor Augen geführt bekam, wenn die Population einer
Kolonialwelt durch Massenimpfungen vor einer verheerenden Seuche
bewahrt wurde, nur um sie einer nicht minder verheerenden
Überbevölkerung auszusetzen. Schlichte Biologie eben.
Dahar hob den Kopf. Die fremden, schaurig dunklen Augen
glänzten auf eine Weise, die Grax inzwischen verstand: sein
Proband war innerlich erregt. Die fetten Finger zitterten ein
bißchen; Grax sah es ganz deutlich. Dahar drehte sich und
blickte genau in den Monitor, den einzigen, der noch ein Bild
lieferte - Dahar hatte ihn nicht abgedeckt, obwohl Grax ihn über
die Funktion der Ringe aufgeklärt hatte. Dahar blieb unverwandt
so dastehen, zu lange für einen Menschen, dessen Blick
zufällig irgendwo verweilte, noch nicht lange genug für den
beiläufigen Blick eines Ged. Ihre Blicke begegneten sich –
obwohl Dahar natürlich nicht wissen konnte, wer ihm zusah.
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