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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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den Kopf, der Delysier nahm die Hände auf den Kopf, der Mann
auf dem Bild setzte sich auf den Boden, der Delysier setzte sich auf
den Boden.
    SaSa sah dem Delysier eine Weile zu. Merkwürdig, daß
sich ein Bild bewegte, daß der Mann sich die Hände auf den
Kopf legte. Er bemerkte sie nicht. Dann verlor das Merkwürdige
seinen Reiz, und SaSa spazierte weiter, von einem Käfig zum
anderen.
    Menschen, die weinten. Menschen, die jammerten. Menschen, die
stumpfsinnig dasaßen. Tote. Alles war so seltsam fremd –
aber dann auf einmal nicht mehr.
    »He da! Hure!«
    Die Stimme gehörte einer rothaarigen nackten Frau in einem
der Käfige. Sie machte ein ungläubiges Gesicht und streckte
einen Arm aus dem Schlitz, er war lang und knochig, erreichte SaSa
beinah, und SaSa wich zurück.
    »Komm näher! Heh, du, komm her!«
    SaSa rührte sich nicht. Ihre schwarzen Augen sahen
ausdruckslos drein.
    Talots Augen glitzerten drohend. Dann ging sie in die Knie, kam
mit dem Mund an den Schlitz und sagte deutlich: »Du bist…
SaSa. Aus der Unterrichtshalle. Komm näher, ich tu dir nichts.
Du bist nicht hier, weil die Geds dich hergebracht haben – wie
bist du hier reingekommen?«
    SaSa schwieg.
    »Kannst du auch wieder hier raus?«
    SaSa sagte noch immer nichts. Sie erinnerte sich an die rothaarige
Frau, genauso wie sie sich an alles andere erinnerte. Die Frau
hieß Talot, sie war eine Kriegerin. Sie würde gleich
wieder verblassen.
    Talot biß sich auf die Unterlippe. »SaSa – wenn du
hier rauskannst – wenn du wieder gehst, kann ich dir dann was
mitgeben? Für eine Kriegerin aus unserer Unterrichtsgruppe,
für Jehanna? Weißt du, wie sie aussieht? Sag was!
Verflucht noch mal, kannst du nicht mal zuhören, du
Hure?«
    Eine heftige Bewegung erregte SaSas Aufmerksamkeit. Ein Mann in
einem anderen Käfig wurde von Krämpfen befallen. Ein, zwei
Atemzüge lang entsetzliche Schmerzensschreie in einem Winkel
ihres Gedächtnisses, kein flackerndes Bild, sondern ein
kläglich heulender weißer Fels – dann war es vorbei.
SaSa wandte sich zum Gehen.
    »Eine Botschaft für Jehanna!« rief Talot
verzweifelt. »Du kennst sie – sie hat der Delysierin
geholfen, dieser Ayrid. Das ist dieselbe Delysierin, die dir mal geholfen hat!«
    SaSa war schon ein Stück weit fortgeschlendert. Beim Klang
von Ayrids Namen war sie stehengeblieben, sie drehte sich um, die
Stirn ein klein wenig kraus.
    »Ja. Ayrid!« rief Talot. »Eine Botschaft für Ayrid. Sag ihr, daß die Geds uns hier gefangen halten.
Sag ihr, daß sie uns von der Krankheit geheilt haben, daß
sie uns aber hier einsperren und daß sie uns zwingen, alles
mögliche zu schlucken…« Sie schauderte, es war das
rasende und ganz kurze Schaudern eines Menschen, der sich mit allen
Fasern seines Seins gegen die Angst wehrt. »Sag ihr, daß
hier auch Delysier sind, und sag ihr… kannst du nicht mal
zuhören? Zum Henker, hörst du mir überhaupt zu, du
Hure?«
    SaSa starrte leer vor sich hin, wartete darauf, noch einmal Ayrids
Namen zu hören. Als der Name nicht wieder auftauchte, kehrte sie
Talot den Rücken. Talot ballte die Fäuste.
    »Warte! Hörst du nicht? Nimm das hier mit. Gib das
Ayrid. Siehst du, du kennst den Namen, du kannst mich hören.
Wie, zur Schwarzkälte, bist du… Bring das zu Ayrid, SaSa.
Zu Ayrid.«
    Talot nestelte an ihrem Haar, löste den Kriegerknoten,
zwirbelte eine rote Strähne um ihren Finger, packte zu und tat
einen fürchterlichen Ruck. Sie hielt einen fingerdicken Strang
in der Hand. Vor Schmerz wimmernd machte sie flugs einen Knoten in
die Strähne und steckte den Arm aus dem Schlitz. Die
Strähne landete vor SaSas Füßen.
    »Für Ayrid«, sagte Talot.
    Ein kantiges Metallstück: Sie hatte schon mal ein
dunkelgraues kantiges Metallstück von hier mitgenommen. Die
Erinnerung flackerte kühl. Das war kein dunkelgraues kantiges
Metallstück, das war rotes Haar. Das war seltsam. Aber die
Kriegerin hatte Ayrid gesagt, also hob SaSa die
Haarsträhne auf und nahm sie mit.
    Sie schlenderte den Weg zurück, den sie gekommen war, legte
sich auf den Boden, der die Schüsseln verschluckt hatte, und
wartete. Weder das Warten focht sie an noch daß die Menschen
verzweifelt aus ihren Käfigen riefen. Schließlich stieg
die nächste Mahlzeit aus dem Boden. SaSa winselte; der Dampf war
heiß. Aber sie hielt still.
    Die Halle lag immer noch verlassen da, kein Mensch, kein Ged. Sie
glitt vom Tischchen; die frisch gefüllten Schüsseln wurden
angestoßen und verschütteten ihren

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