Fremdes Licht
weggesperrt, zugemauert, und hinter den Steinen lag
nichts als Finsternis.
»Bitte, Ondur… wir sind doch keine Bedrohung für
die delysischen Hallen, was für einen Schaden könnten Dahar
und ich denn anrichten, sag selbst, Ondur.«
»Es gibt dich nicht«, sagte Ondur. »Du bist tot. Du
bist und bleibst auf immer verbannt, und ich habe dich nie
gekannt.«
Ondur drehte sich um und ging. Ayrid saß eine Weile
regungslos da. Dann lenkte sie ihren Stuhl zum Unterrichtsraum.
Die Gruppe war vollzählig, wenn man von Ilabor absah. Dahars
Augen suchten die ihren: Gefahr im Verzug? Sie schüttelte
kaum merklich den Kopf. Hier war nicht der Ort für
Erklärungen und Fragen, und Dahars Gesicht verriet, daß
ihn ganz andere Dinge beschäftigten. Sie spürte Graxens
Blick auf sich ruhen. Der Ged hielt das Kolbenfläschchen in der
Hand, das man in eine durchsichtige Ausstülpung der
äußeren Stadtmauer gesetzt hatte, das Fläschchen,
dessen Inhalt ganz wolkig gewesen war vor Bakterien, die keine sein
konnten.
Das Fläschchen war glasklar.
Grax wandte sich mit seiner samtweich grollenden Stimme
ausdrücklich an Ayrid: »Deine Überlegungen waren
richtig, Ayrid. Das Licht von Quom hat die Mikrolebewesen
getötet. Sie können im Licht der Quomsonne nicht
überleben.«
»Licht«, sagte Dahar außer sich. »Licht.«
»Jetzt müssen wir nur noch eine Medizin draus
machen«, sagte Tey.
»Falsch«, sagte Dahar. »Sonnenlicht gibt es in
Hülle und Fülle.«
Tey, der müßig an der Wand lehnte, sagte nichts.
Ayrid rückte näher an Grax heran. Aus der Nähe
betrachtet sah die Lösung in dem kleinen Kolben immer noch klar
aus, bis auf einen hauchzarten Schleier am Grund.
Sie hatten es geschafft. Ein Sieg, ein Triumph. Sie hatten die
Bakterien getötet – oder was immer es war – und damit
ein Mittel gegen die Krankheit gefunden. In dieser einen winzigen
Sache hatten sie die Geds übertroffen. Sie hatten gewonnen.
»Sie können im Licht der Quomsonne nicht
überleben.« Aber woher kamen dann diese Mikrolebewesen?
Von den Geds, von irgendwoher, aber nicht von Quom.
Versprengt, heimatlos, zum Untergang verurteilt.
»Was mich angeht«, sagte Tey, »habe ich für
heute genug von der Biologie.«
Die anderen blickten ihn an. Ayrid sah etwas, das sie bisher nicht
bemerkt hatte: seine gelangweilte Gelassenheit war nur mehr eine
Maske, hinter der er seine Wut verbarg. Seine Pupillen waren zu
Perlen geschrumpft. Tey hatte mit einer Medizin gerechnet, mit einer
Mixtur im Gepäck, die nicht schwerer wog als die Krankheit
selbst.
Grax betrachtete ihn nachdenklich.
»Ich bin auch müde«, sagte Ayrid. Bei Teys Wut
vermied sie tunlichst den Augenkontakt mit Dahar. Behutsam
manövrierte sie ihren Stuhl aus der Tür und schwebte den
Korridor hinunter – zu ihrem Zimmer; so wie die Dinge lagen, war
es zu riskant, Dahars Zimmer aufzusuchen. Wenn die Luft rein war,
würde Dahar sich schon melden. Was Jehanna gewollt und womit
Ondur gedroht hatte, mußte solange eben warten. Das Dumme war
nur, daß ihr Zimmer auch SaSas Zimmer war…
Doch SaSa war nicht da.
Ayrid schloß die Tür. Sie senkte den Stuhl ab, bis er
fest am Boden stand. Erst schwang sie ihr unversehrtes Bein von der
Fußstütze. Dann zog sie das andere aus dem Stasisfeld.
Daß es nicht mehr weh tat, das wußte sie bereits vom
Schlafen und Baden. Die Heilung war also fortgeschritten. Aber wie
weit, das wollte sie jetzt testen.
Sie saß kerzengerade auf dem Röhrengestell,
stützte sich ab und versuchte zu stehen. Das heikle Bein knickte
ein, und sie fiel mit einem Schmerzensschrei zu Boden.
Sie blieb liegen, bis der Schmerz nachließ, dann kroch sie
in den Stuhl zurück. Das Stasisfeld, unbegreiflich wie es war,
umgab ihr Bein, und der Schmerz verschwand augenblicklich.
Jetzt wußte sie, wie weit die Heilung fortgeschritten war.
Sie war auf die Betäubung der Geds angewiesen. Auf Gedeih und
Verderb.
Genauso wie Dahar.
Es dauerte lange, bis er kam. Und als er kam, sah er wie
betäubt drein. Er starrte sie eine Zeitlang mit solch
unverhohlener Eindringlichkeit an, daß Ayrid die Arme nach ihm
ausgestreckt hätte, wäre sie nicht völlig sicher
gewesen, daß er sie überhaupt nicht wahrnahm.
»Belasir ist tot.«
»Woher… woher weißt du?«
»Von Grax.«
Er starrte über ihren Kopf hinweg, und erst jetzt bemerkte
sie das Fläschchen mit der klaren Lösung, das er so fest
umklammerte, daß die Knöchel weiß hervortraten.
Gleich würde er sie ansehen, und sie war auf
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