Fremdes Licht
den alten Groll,
die leidige Feindseligkeit in seinen Augen gefaßt: Delysier. Ihr wollte übel werden bei dem Gedanken – doch nichts
davon begegnete ihr, als er sie ansah. Sie gewahrte den dumpfen
Schmerz in seinen Augen, und dahinter flackerte etwas anderes, nicht
minder Schreckliches. Ihr kam ein neuer Verdacht.
»Keine delysischen Soldaten. Keine Delysier, nicht wahr,
Dahar? Die Geds haben sie umgebracht.«
»Die Geds?« wiederholte er verständnislos. Dann
verstand er, und Zorn fuhr in sein dunkles Gesicht, jener jähe,
unbändige, der hinaus muß und froh ist, daß er ein
Opfer findet.
»Warum sagst du so was?« fuhr er sie an. »Warum
sollten die Geds so was tun?«
»Ich weiß nicht. Die Krankheit…«
»Wir haben die Erreger der Krankheit gefunden, wir kennen
seit eben das Gegenmittel. Warst du nicht dabei, hat die
süße Ayrid einen Doppelgänger? Ich könnte
wetten, du warst dabei. Allein schon der Gedanke! Warum sollten die
Geds die jelitische Oberkommandierende töten? Warum, frag
ich dich?«
Ayrid schwieg.
»Soll ich dir sagen, warum? Du bist versessen darauf. Du
wartest förmlich darauf, daß Grax endlich deinen ganzen
Argwohn rechtfertigt – daß er dir einen Grund liefert
für all deine Verdächtigungen. Aber du brauchst gar keinen
Grund, hab ich recht? Du hast ihm von Anfang an mißtraut. Dich
hat weiter nicht gestört, daß er uns beigebracht hat, was
wir nicht mal in hundert Jahren entdeckt hätten. Er hat uns
die Welt erklärt – und ich dachte, du hättest das
begriffen. Ich dachte, von allen in R’Frow wärst du diejenige gewesen, die das kapiert hätte… Delysia. Delysia steht für Hinterlist.«
Er wollte sie verletzen, und ihre Geduld, die schon durch Jehanna
und Ondur strapaziert worden war, war am Ende. »Wieso
Hinterlist? Wer ist hinterlistig? Die Geds haben uns gelehrt, Fragen
zu stellen und logisch zu denken, und wenn ich das tue, dann nennst
du es Hinterlist. Du weißt nicht, was Jehanna gesagt hat. Sie
hat gesagt, die Geds hätten Talot, ihre beste Freundin, in die
Stadtmauer verschleppt. Talot ist da nicht freiwillig hingegangen,
sie wurde gezwungen. Warum? Woher willst du wissen, ob die Menschen
in der Mauer tatsächlich in Stasisfeldern liegen? Woher wissen
wir denn, ob die Geds uns nicht an der Nase herumführen?
Vielleicht steht Ged für Hinterlist.
Du bist versessen – versessen auf ihre Wissenschaft,
und deshalb nimmst du alles für bare Münze, was sie sagen.
Aber du lernst nicht bloß; deine verkorkste jelitische
Erziehung verlangt von dir, daß du sie auch noch verehrst. Die Gedwissenschaft weiß gar nicht, was das ist: Ehre.
Woraus folgt Ehre? Welche Ursache liegt ihr zugrunde? Welche Theorie?
Welche Hypothese? Kennst du ein Experiment, um sie nachzuweisen? Ehre
kommt aus Jela. Aber du gehst damit so skrupellos um wie Tey – Gib mir deine Wissenschaft, und ich will dich dafür verehren
wie einen richtigen Bruder, egal was du sonst noch so treibst in
R’Frow.
Aber du bist überhaupt kein richtiger Krieger. Jetzt nicht
mehr. Selbst wenn dich deine Oberkommandierende nicht verstoßen
hätte, wärst du kein ehrbarer Krieger – du schacherst
wie ein Delysier, und dir ist kein Preis zu hoch!«
Sie sah, wie sehr ihn die Worte trafen, sie sah es mit
Genugtuung.
Das Blut war aus seinen Lippen gewichen, als er sagte: »Ich
zahle keinen Preis. So kann das nur ein Delysier sehen, bei euch hat
alles einen Preis. So wie Tey mit dem Heilmittel – als ob die
ganze Heilkunst darin bestünde, ein wertloses Fläschchen
auf dem Marktplatz zu verhökern. Und du wagst es, über
Logik und Experimente zu reden – welchen Beweis hast du
dafür, daß Jehanna die Wahrheit sagt? Eine unbedarfte
Kriegerin, die sich zum erstenmal verliebt hat, so unbeherrscht und
arrogant, daß sie es nicht mal zur Trainingsleiterin gebracht
hat… Belasir hat das auf den ersten Blick erkannt. Und hast du
nicht behauptet, du hättest eure Hallen um der Wissenschaft
willen verlassen? Und da glaubst du ihr jedes Wort, ohne weiteres,
ohne den geringsten Beweis? Das zeigt doch nur, wie versessen du
darauf bist, den Geds etwas anzuhängen. Die bitterbösen
Geds und die süße kleine Ayrid!«
»Nenn mich nicht so!«
»Warum willst du ihnen unbedingt jede Ehre
absprechen?«
»Ich will ihnen ja gar nicht jede Ehre absprechen. Ich meine
nur…« Sie zauderte, sah die Falle schon zuschnappen.
»Du meinst nur, sie haben vielleicht keine. Einfach so, ohne
Grund, ohne Theorie, ohne jeden Beweis. Sehr
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