Fremdes Licht
nicht vor dieser
verkrüppelten Schleimschnecke, die mit den Monstern unter einer
Decke steckte; nicht, wenn die Eidesformel so bitter schmeckte wie
Galle. Nicht, wenn sie – eine Kriegerin – es war, die
bettelte. Und das auch noch wußte. Talot…
Statt dessen sagte sie: »Einer von den beiden hat sich
umgebracht – von den beiden Jeliten, die du zu Krüppeln
gemacht hast. Wußtest du das?«
Ayrid wurde blaß. Aber sie sagte mit fester Stimme:
»Ich habe sie nicht zu Krüppeln gemacht.«
»Nein. Das hat dir der Krihundspakt abgenommen.«
»Was willst du, Jehanna?«
Kein Entrinnen. Ob es ihr paßte oder nicht, sie mußte
damit herausrücken. Sie haßte sich dafür, als sie mit
gepreßter Stimme sagte: »Im Waffenhof hört man, ihr
würdet hier eine neue Medizin machen. Eine Medizin gegen diese
Krätze…«
Ayrid lehnte sich vor. »Hast du die Krankheit
gefangen? Ich seh aber keine Flecken.«
»Nein. Nicht ich. Aber wenn ihr sechs mit dem Ged an einer
Medizin arbeitet und damit zu den Kranken geht… Gehst du auch in
die Mauer? Gibt es einen Eingang?«
Ayrid fuhr kaum merklich zurück. Sie gab keine Antwort.
Jehanna sagte: »Gibt es einen Eingang? Ich hab dir das Leben
gerettet, Ayrid…« Sie hörte sich betteln, ihr Magen
krampfte sich zusammen.
Leise sagte Ayrid: »Was willst du in der Mauer?«
»Das geht dich nichts an!«
»Da ist jemand in der Mauer, richtig? Jemand, den du…
liebst, der in die Mauer gegangen ist, damit die Geds ihm
helfen.«
»Sie ist nicht freiwillig gegangen!«
Ayrid verengte die Augen. »Woher weißt du das? Es ist
das große, rothaarige Mädchen aus deiner Lerngruppe,
stimmt’s? Woher willst du wissen, daß sie nicht freiwillig
gegangen ist?«
»Sie wollte die Krankheit durchstehen – das hatten wir
abgemacht… Du kannst das nicht verstehen, Delysier. Eine
Kriegerin rollt sich nicht zusammen wie eine Kemburi bei
Frühnacht. Talot ist tapfer…« Jehanna hörte sich
laut maulen und dann heiser vor Angst flüstern: »Ich
weiß, daß man sie gefangen hat.«
»Gefangen? Wer soll sie gefangen haben?«
»Die Geds. Wer sonst? Sie wollte sich fit halten und an der
Mauer ihren Dauerlauf absolvieren, bei Nacht, und wenn Kelovars
Soldaten sie getötet hätten, dann hätte ich
längst davon gehört.«
Ayrid packte die Armlehnen ihres Gedstuhls und sagte: »Kelovars Soldaten?« Doch Jehanna hörte kaum
hin.
»Oder ich hätte ihre Leiche gefunden. Ich habe zwei Tage
lang nach Talot gesucht… Sie ist in der Mauer, und die
Geds halten sie da gefangen, und wenn ihr sechs in die Mauer
könnt, dann wirst du mir helfen, da reinzukommen, Ayrid,
hast du verstanden?« Jehanna hatte immer noch Hitzeschleuder und
Kugelrohr in den Händen; sie sah Ayrid wildentschlossen an.
»Von uns geht keiner in die Mauer«, erwiderte Ayrid
ruhig. »Da gehen nur die Geds hin.«
»Dann haben die Geds sie da reingeschleppt. Und ihr steckt
mit ihnen unter einer Decke. Euch sechs haben sie dressiert, ihr seid
ihre Haustiere – du kannst hinterherschwänzeln, und ich
bleib dir auf den Fersen.«
Ayrid schwieg. Ihre Hände umklammerten die Armlehnen so fest,
daß die Knöchel weiß hervortraten, und Jehanna
erinnerte sich flüchtig an die blutige, glitzernde Hand der
Glasbläserin.
»Ich würde dir gerne helfen, Jehanna. Aber ich kann
nicht. Nur Geds gehen da ein und aus. Und selbst wenn wir sechs
reinkönnten, dann würden sie dich immer noch nicht
reinlassen. Sie würden dich daran hindern – sie können
verhindern, was immer sie verhindern wollen. Aber hör zu,
Jehanna. Wir stehen kurz vor der Lösung des Rätsels. Dahar
und Krijin und Grax sind fast soweit, und dann werden alle, die in
der Mauer sind, wieder gesund. Auch Talot. Sie ist bald wieder bei
dir. So leidet sie wenigstens nicht, sie schläft nur in der
Mauer.«
Jehanna war nicht entgangen, das Ayrids Stimme geschwankt hatte.
»Du lügst. Das glaubst du ja selbst nicht.«
Ayrid blickte sie an, und Jehanna, obwohl wütend, sah die
quälenden Zweifel in den delysischen Augen. Die
Glasbläserin traute ihren eigenen Worten nicht, aber sie log
auch nicht. Das war etwas anderes – alles in R’Frow war
etwas anderes, selbst der Feind war immer ein anderer. Delysia,
Dahar, die Geds – man wußte nie, wer gerade Freund oder
Gegner war, und wie, zur Schwarzkälte, sollte man da für
irgendwas kämpfen?
»Bringst du mich in die Mauer oder nicht?«
»Wie denn? Ich kann nicht!« platzte Ayrid heraus, und
diesmal hatte Jehanna keinen Anhaltspunkt
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