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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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dafür, ob die
Glasbläserin log oder sonstwas tat. Jehanna steckte die
Dreikugel weg und zog ihr Messer.
    Doch noch ehe ihr klar war, was sie mit dem Messer vorhatte oder
wer diesmal der Feind war, stieg wieder dieses unsichtbare Etwas aus
dem Boden und ließ sie erstarren. Ayrid hatte bereits ihr
fliegendes Röhrengestell gewendet und trat den Rückweg an;
ihre Schultern bebten, und Jehanna war, als habe die
Glasbläserin gar nicht mitbekommen, was soeben passiert war
– daß die Geds sie nämlich genauso beschützten,
wie sie es vorhin mit Dahar getan hatten. Rechnete sie damit, jeden
Moment das Messer in den Rücken zu bekommen? Dummheit?
Courage?
    Kaum war Ayrid im Unterrichtsraum verschwunden, verschwand auch
das Stasisfeld. Grax stand neben Jehanna, ein bauchiges
Fläschchen in der Hand.
    Der Ged sagte kein Wort. Mußte er auch nicht.
    Jehanna stürzte aus der Unterrichtshalle und raste den
Wroffpfad hinunter. Der Morgen umgab sie, drang auf sie ein,
verfolgte sie: die Morgenluft von R’Frow, ganz R’Frow war
der Feind. Der Wroffpfad schlug einen Bogen zur Südmauer.
Jehanna warf sich gegen die graue Steilklippe, rammte die rechte
Schulter in das Wroff, der ganze Körper wurde von dem Anprall
erschüttert.
    »Talot!«
    Keine Antwort.
    Sie schleuderte die Dreikugel an die Mauer. Der Aufprall war so
laut, daß ihr die Ohren klangen; sie schleuderte sie wieder und
wieder. Weder die Oberfläche des Wroff noch die Kugeln trugen
Spuren davon, doch schließlich riß ein Lederriemen, und
eine Kugel zerfetzte das Holz eines sterbenden Baums.
    »Taaaaaallloottttt!«
    Leute kamen angelaufen. Jehanna wirbelte herum, sah aber,
daß es sich um bewaffnete Jeliten handelte; sie steckte ihre
Waffen fort, als eine Kriegerin vorsichtig näher kam. Zu
spät sah sie durch den blutroten Nebel des verklingenden
Jähzorns, daß man der Frau das Abzeichen von der Schulter
gerissen hatte – nicht nur ihr – auch den anderen –
und daß es sich gar nicht um Krieger, sondern um Bürger
handelte. Um bewaffnete Bürger. Die Frau, obwohl sie ein
Messer trug, war eine untrainierte Schnecke. Jehanna schickte sie mit
einem einzigen Schlag zu Boden.
    Der Jähzorn war augenblicklich verflogen. Jehanna begann
taktierend zu tänzeln.
    Die Männer kamen näher. Sie trat einem in den Unterleib,
worauf er sich heulend am Boden wälzte, doch die anderen drei
hatten Gedmesser und überwältigten sie. Selbst da
spürte sie noch die Unbeholfenheit im Umgang mit einer
Kriegerin, nutzte das Zögern und hätte sich fast
losgerissen.
    »Haltet sie fest!« kreischte die zweite Frau.
»Verdammt – nun haltet sie doch fest! Sie wird uns
noch…«
    »Nichts wird sie«, keuchte einer der Männer.
»Nicht, bevor es soweit ist.«
    Jehanna hatte ihm das Messer abgenommen. Aber sie hatte keinen
Platz, sich zu drehen, die beiden anderen hielten sie immer noch
fest; die Übermacht war selbst für eine Kriegerin zu
groß. Sie hörte noch, wie die Frau zischelte:
»…auf uns Bürgern herumtrampeln – hier ist R’Frow«, dann riß der Mann, den Jehanna
entwaffnet hatte, seine Faust zurück und landete einen
linkischen aber harten Kinnhaken. Jehanna ging zu Boden, das
gezischelte R’Frow umfing sie wie eine Kemburi.

 
55
     
    SaSa durchquerte das offene Gelände rund um die Halle, in der
sie mit ihm gewohnt hatte. Das Gras war braungelb verfärbt. Sie
hatte es nicht eilig; sie hielt sich genau in der Mitte des Pfads,
das Wroff fühlte sich kühl an unter ihren bloßen
Füßchen; sie dachte nicht daran, daß ihr
weißer Tebel im trüben Tageslicht ein weithin sichtbares
Ziel abgab. Sie dachte überhaupt nicht.
    Und dennoch war sie, wie Ayrid ganz richtig bemerkt hatte, nicht
verrückt. Sie erinnerte sich an alles, was sich zugetragen
hatte, und daran, wie es sich zugetragen hatte, sie erinnerte sich
klar und deutlich. Doch irgend etwas in ihr war niedergebrannt, und
die Asche war spurlos verweht. Ihre Gefühle waren gestorben,
nicht die ihrer Haut, nein, die anderen. SaSa erinnerte sich an alles
– die Savanne, die Krieger, ihn, den Raum in der
Stadtmauer – aber ohne etwas dabei zu empfinden. Bilder, die im
Feuerschein flackerten, nah und fern zugleich. Sie blickte in
düsterem Schweigen auf die Bilder, aber sie berührten sie
nicht, und sie vermißte die Berührung nicht mehr, als ein
kalter Ofen das Brennholz vermißt.
    Sie blieb stehen, um zwischen ihren Zehen ein Steinchen
herauszupulen. Irgendwie hatte es sich auf den glatten Wroffpfad
verirrt. Ihr

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