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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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eingefaßt und geschlossen. Vor dem ersten und
letzten Tor duckten sich die Behausungen. Der nächstgelegene
Flecken – der andere war zu weit entfernt, als daß Ayrid
Einzelheiten hätte ausmachen können – bestand aus
aneinandergebauten Hütten, zusammengeflickten Zelten und
ungetünchten Schuppen aus Stein und Schlamm. Zwischen der Mauer
und der jeweils nächstgelegenen Behausung lag ein breiter,
leerer Streifen, als ob die Menschen, die da hausten, sicheren
Abstand wahren wollten.
    Zwischen zwei Behausungen trat ein delysischer Soldat heraus,
bewaffnet und mit ernster Miene. Er kam auf Ayrid zu. Verfilztes
braunes Haar fiel auf seine Schultern.
    »Du kommst direkt aus Delysia?«
    Sie nickte benommen.
    »Hier bist du richtig. Du hast Glück gehabt, daß
du nicht von der Nordseite gekommen bist.« Er sagte das mit
einer so finsteren Eindringlichkeit, als ob sie ihr Glück ihm zu
verdanken hätte. Ayrid besah sich den Mann flüchtig, doch
der hatte keinen Blick für sie und starrte haßerfüllt
zu dem anderen, fernen Flecken hinüber.
    »Jeliten«, vermutete sie kraftlos.
    Der Soldat nickte, den Kopf noch immer abgewandt.
    »Die Mauer hat gesagt…«, hörte sie sich sagen,
und aus lauter Hilflosigkeit platzten ihr die Worte mit einem
respektlosen Lachen über die Lippen. »Die Mauer hat gesagt,
ich soll hierherkommen, um prüfen zu lassen, ob ich eintreten
darf.«
    »Besorg dir ein Los bei der Bril. Da drüben.« Sein
Daumen wies auf die nächstgelegene Behausung; Ayrid sah nur die
Rückseite, ein gedrungenes, fensterloses Rechteck aus
Schlammziegeln. »In ihrer Herberge kriegst du ein Bett, bis dein
Los gezogen ist. Aber das kostet. Wenn du kein Geld hast, laß
dich da drüben in dem Gehölz nieder. Und denk dran, den
Schutz von Delysia genießt du nur hier auf der südlichen
Seite. Die Patrouillen reichen nicht mal bis zur Mitte. Wir sind nur
noch wenige.« Er drehte sich um und ging.
    »Warte!« sagte Ayrid.
    Der Soldat tat ihr den Gefallen nicht. »Sieh zu, daß du
bei der Bril ein Los kriegst«, rief er, ohne sich
umzudrehen.
    Ayrid ging ins Lager. Sie sah nicht viele Leute; die meisten
hielten wahrscheinlich ihren Lichtschlaf. Auf dem kahlen Platz in der
Mitte standen leere Marktbuden, keine mehr als ein schattenspendendes
Tuch oder Geflecht aus Zweigen auf vier durchgebogenen Holzstangen,
die heiß waren von der Sonne. Zwei Männer vor einem
zerrissenen Zelt warfen Spielsteine. Aus dem Schlammziegelbau drang
die hohe Stimme einer Betrunkenen, ein Liedfetzen, die Stimme
verstummte jählings, wie abgeschnitten. Der Eingang besaß
keine Tür, das Innere war unbeleuchtet, und in der
Düsternis konnte Ayrid nichts erkennen.
    Ein zweiter Soldat, sauberer als der erste, aber ebenso grimmig,
ließ sie nicht aus den Augen. Vielleicht dachte er, daß
sie eins der Zelttücher stehlen wollte. Beruhigt, daß man
Diebstahl auch noch am Ende der Welt als Verbrechen betrachtete, ging
Ayrid zu ihm hinüber. Anders als der erste Soldat trug er kein
Rangabzeichen; seine linke Schulter sah ohne das Abzeichen
merkwürdig nackt aus. Seine Hautfarbe war für einen
Delysier auffallend hell. Eine Haarsträhne, so sandfarben wie
die Stoppeln an seinem Kinn, fiel ihm über die Wange. Im
Kontrast zu dem sonnengegerbten Soldatengesicht wirkten die Augen
bestürzend hell, sie hatten das blasse, milchige Blau von
gewässertem Glas.
    »Wo ist die Bril?«
    Sein Blick wurde noch bohrender. »Wozu?«
    »Ich brauche ein Los. Und ein Bett.«
    »Willst du Hure bei ihr werden?«
    Ayrid riß das Kinn hoch. Der Blick des Soldaten wurde ein
klein wenig milder. »Wenn nicht, dann willst du auch kein Bett
von ihr.«
    »Mir wurde gesagt, das sei eine Herberge.«
    »So kann man dazu sagen. Aber es gibt noch eine andere
Herberge, wo eine Frau sich aussuchen kann, mit wem sie schläft.
Dahinten, ziemlich am Ende des Lagers.«
    »Danke.«
    »Wer hat dich zur Bril geschickt?«
    »Ein Soldat.«
    Er preßte die Lippen aufeinander, und Ayrid wußte auch
ohne Abzeichen um seinen Rang; er war es gewöhnt, seine
Männer zum Gehorsam zu zwingen, nicht aber sie zu führen.
»Hurerei ist etwas für Jeliten. Wir müssen ihnen das
nicht nachmachen.«
    »Der Soldat meinte, ich brauchte ein Los von der
Bril.«
    »Das brauchst du. Um dich prüfen zu lassen.«
    »Sind diese Leute – sind sie alle hier, um sich von der
Mauer prüfen zu lassen?«
    »Nein. Die meisten kommen zwar deswegen, ändern dann
aber ihre Meinung. Manche wollen nur Lebensmittel

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