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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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hauptsächlich Getreide und Früchte« – er deutete
mit dem Kopf – »sie kommen von da drüben aus
irgendeiner abgelegenen Siedlung. Andere kommen einfach aus Neugier.
Ein paar werden von der Mauer verstoßen, und du hältst
dich besser fern von ihnen. Sie sind wütend.«
    Ayrid war, als höre sie einen Delysier säuerlich sagen: Und ich dachte, die Mauer hätte dich entmannt, Ralschin. Sie schob das Kinn vor und grub die Fingernägel der einen
Hand in das Gelenk der anderen.
    Der Soldat betrachtete sie eingehend. »Welches Handwerk hast
du ausgeübt?«
    Sie bemerkte, daß er die Vergangenheit benutzt hatte.
»Die Glasbläserei.«
    Er nickte anerkennend; die Glasbläser genossen in Delysia ein
hohes Ansehen. Neugier stand in seinem Gesicht, aber er stellte keine
Fragen, und diese Höflichkeit war schuld, daß Ayrid mit
einemmal nasse Augen bekam. Höflichkeit – in nur einem
Zyklus hatte sie vergessen, wie es gewesen war, ein angesehener
Bürger zu sein! Dummkopf, schalt sie sich, und im selben
Moment brach der Bann der Grauen Mauer, und Erschöpfung,
Angst und Hunger gewannen wieder die Oberhand.
    Der Soldat berührte sie am Arm. »Setz dich solange, ich
geh und besorg dir das Los. Die Bril ist kein Umgang für einen
Glasbläser. Setz dich da drunter, da ist Schatten.«
    Ayrid kauerte sich auf den Boden nieder, ließ den Kopf
hängen und wehrte sich gegen den plötzlichen, dummen
Schwächeanfall. Der Soldat pochte an die Wand des
Schlammziegelschuppens. In der düsteren, türlosen
Öffnung tauchte eine Frau auf. Er packte die Frau beim Arm und
zerrte sie ins Freie. Sie war groß, sah total verlottert aus
und blinzelte mit bunt verschmierten Augen gegen das Sonnenlicht an.
Zwischen ihr und dem Soldaten kam es zu einem leisen aber hitzigen
Wortwechsel. Ayrid sah, wie in der Hand des Soldaten etwas
aufblitzte; etwas Metallenes wechselte den Besitzer. Gleich darauf
kehrte der Soldat zurück; auf dem Stein, den er mitbrachte,
stand in blauer Farbe die Nummer 206.
    »Wieviel hast du bezahlt?« sagte Ayrid. Die blöden
Tränen waren versiegt; hier war nicht der Ort für
Tränen.
    »Sechs Habrin.«
    Ayrid gab ihm sechs Habrin. Er runzelte die Stirn, und Ayrid hatte
den flüchtigen Eindruck, als habe er sie für mittellos
gehalten und sei nun enttäuscht. Doch er nahm die Münzen
an.
    »Bleib hier, am südlichen Ende. Die Patrouillen kommen
nicht mal bis zum mittleren Tor – zu viele Soldaten hat die
Mauer schon verschluckt. In der Herberge oder hier auf dem
Marktplatz, da bist du in Sicherheit. Und geh nicht in die
Savanne.« Ein Anflug von Milde entspannte sein Gesicht,
erreichte aber nicht die blassen, milchig blauen Augen.
»Mach’s gut, Glasbläser.«
    »Du auch.«
    Die sogenannte Herberge war ein einziger fensterloser Raum, der
hinten durch spröde Zwischenwände in separate Zellen
unterteilt war, und davor war einfach nur Platz, wo die Leute wahllos
herumlagen und schliefen. Unter dem niedrigen Dach war die Luft
stickig und heiß; es stank. Für ein paar Münzen
durfte Ayrid, die Mühe hatte, nicht über die im Dunkel
verstreuten Schläfer zu stolpern, ihren Burnus auf dem
schmutzigen Boden einer abgeteilten Ecke ausbreiten. Hinter der
Zwischenwand ächzte und stöhnte ein Schläfer. Obwohl
sie am Ende ihrer Kräfte war, brauchte sie lange, um
einzuschlafen. Sie lag da, starrte in die Dunkelheit und redete sich
ein, daß sie zum erstenmal, seit sie Delysia verlassen hatte,
in Sicherheit war – und über die Angst vor der Zukunft und
die Angst um Embri legte sich ein Schleier der
Müdigkeit…
     
    Bei Spätlicht entfaltete das zusammengewürfelte,
schäbige Lager ein hektisches Treiben. Jäger verschacherten
ihre Beute aus der Savanne und Angler ihre seltsamen, kleinen
Süßwasserfische aus einem Nebenarm des Flusses. Frauen
boten einfache, auf heißen Steinen gebackene Fladenbrote feil
oder ihre in der Savanne gepflückten Dahafrüchte. Am
Schuppen der Bril floß der Kaf. Die heiße Luft
füllte sich mit Körper- und Nahrungsgerüchen und mit
dem Gestank der Gosse, mit Flüchen über Spiel und Frauen,
mit der unverdrossenen Geschäftigkeit von Spätlicht, bevor
die sechsunddreißig Stunden währende Kälte und
Finsternis begann.
    Ayrid wachte mit Heißhunger auf. Auf dem Markt rührte
eine Frau ihren dickflüssigen Eintopf um, der in einem Kessel
über dem offenen Feuer blubberte. Sie hatte ein grobes, offenes
Gesicht. Ayrid kaufte sich einen Napf voll. Der Eintopf schmeckte
erstaunlich gut. Die

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