Fremdes Licht
unsere Stadt, die Stadt der Geds. Solange ihr in
unserer Stadt weilt, werdet ihr euch nach unseren Wünschen
richten.«
Jehanna hörte aufmerksam zu. Diese Ungeheuer beriefen sich
auf das Ehrenrecht – sie sagten, sie würden mit den Jeliten
dasselbe Schwert führen. Sie hatten den Jeliten
großzügig neue Waffen gegeben, und wollten im Gegenzug die
Unterwerfung unter ihre Gesetze, wenn auch nur für die Dauer
eines Jahres. Trotzdem ein unangemessener Anspruch – dieses
fabelhafte Messer und die Keule, egal wie ausgewogen sie war, waren
wohl kaum diese Unterwerfung wert!
Es sei denn… Es sei denn, die Ungeheuer meinten, daß es
später noch mehr und noch bessere Waffen gab. Aber das begann
bereits nach einem Vertrag zu schmecken und immer weniger nach einer
großzügigen Erwiderung auf ein großzügiges
Geschenk… Andererseits, wenn die Waffen wirklich so
großartig waren – immerhin hatten diese Ungeheuer die Graue Mauer gebaut –, dann zeugte es nur von Klugheit,
sie nach und nach auszugeben, so wie die Waffenlehrer es machten;
bestimmte Waffen setzten nun einmal ein bestimmtes körperliches
Training voraus… Jehanna runzelte grimmig die Stirn. Kaum eine
Stunde innerhalb der Grauen Mauer, und nichts als dumme
Wortgefechte! Aber zum Glück brauchte sie sie nicht
auszufechten. Dafür war die Generalin zuständig. Jehanna
heftete den Blick auf die durchgedrückten Schultern der
älteren Frau und fragte sich, wie die Kriegerin reagieren
würde.
»Ihr werdet in R’Frow leben, wie es euch beliebt, nach
euren eigenen Verhaltensregeln.« Jehanna brauchte einen
Augenblick, ehe sie begriff, daß das Ungeheuer die jelitischen
Gesetze meinte. »Mit zwei Ausnahmen. Die eine – ihr werdet
alle täglich sechs Stunden in der Unterrichtshalle verbringen,
wo euch vieles gelehrt werden wird. Die andere – kein Mensch
darf einen anderen töten oder ernstlich verletzen. Der
Unterricht verlangt, daß alle am Leben bleiben.«
Ein Murmeln erhob sich unter den Bürgern. Jehanna war
bestürzt. Ihr werdet alle täglich sechs Stunden in der
Unterrichtshalle verbringen – hatten diese Geds etwa vor,
nicht nur Krieger, sondern alle im Gebrauch der Waffen zu
unterrichten? Das war Blasphemie, und das war Schwachsinn. Krieger
waren Krieger, und Bürger, so nützlich sie auch waren,
waren Weichlinge. Und kein Töten – auch dann nicht, wenn
jemand gegen die Disziplin verstieß? Kein Meisterkrieger war so
nachsichtig!
Die Hure sah geradewegs zu ihr hin.
Jehannas Augen glitzerten gefährlich. Die Unverfrorenheit
dieses Mädchens erinnerte sie an diese delysische Schnecke, die
sie durch die Savanne geschleppt hatte. Doch das hier war schlimmer,
war eine größere Ehrverletzung – die Delysierin war
eine Fremde gewesen, und dazu noch eine Verrückte, aber die da
war eine Jelitin, die wußte, was sie tat. Jehanna schloß
die Hand fester um den Griff des Messers. Ihre Blicke trafen sich,
und im nächsten Augenblick schlug die Hure die Augen nieder. Sie
machte einen Schritt auf Jehanna zu. Sie mußte auf einem
großen Bündel gestanden haben, um über die Menge
hinwegsehen zu können; so wie sie jetzt dastand, sah sie
erstaunlich winzig aus, reichte Jehanna kaum bis zum Brustbein. Aber
die Kurven ihres Körpers waren nicht die eines Kindes.
Unter Jehannas wildem Gefunkel senkte die Hure den Kopf und
blickte auf ihre Füße. Das reicht nicht, dachte
Jehanna, das reicht mir ganz und gar nicht. Der Ged hatte
wieder eine längere Pause eingelegt und fuhr fort: »Wir
haben den Menschen von Quom viel beizubringen. Aber ihr
müßt mit diesen beiden Bedingungen einverstanden sein.
Während ihr durch dieses Portal nach R’Frow geht, wird
jeder einzelne von euch sein Einverständnis
erklären.«
Jehanna war empört. Bürger einen Eid auf die Ehre
schwören zu lassen – und Huren…
»Ich spreche für Jela«, sagte die Generalin laut.
Sie schwang sich auf die Plattform und steckte höflich das
Messer fort. Das gefiel Jehanna. Selbst so nah vor den Ungeheuern
zeigte die Generalin weder Furcht noch Unterwürfigkeit. Und die
Geds, bemerkte Jehanna, waren ihrerseits so klug, nicht vor der
Generalin zurückzuweichen. Sie betrachteten die Kriegerin
gelassen, und endlich sagte einer von ihnen – Jehanna
wußte nicht wer, sie sahen alle gleich aus: »Du sprichst
in Harmonie mit diesen Menschen?«
Das war eine tödliche Beleidigung: die Autorität eines
Oberbefehlshabers in Frage zu stellen. Jehanna fühlte, wie sich
ihr Zwerchfell zusammenzog.
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