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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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dem Boden des Glashofs hockte und ziellos mit Schlamm und
Stöckchen spielte.
    Embri…
    Nachdenklich hielt sie den Glasstab an die Wange. Er hatte eine
wunderschöne Farbe, blaßblau wie Leinzwirn, der nur einmal
durch den Farbbottich gelaufen war. Als Embri fast noch ein
Säugling gewesen war, hatte sie ihr in dieser Farbe einen Tebel
gewebt. Eine sanfte Farbe, eine beschützende Farbe… Wie
naiv mußte eine Mutter sein, um anzunehmen, daß
Schönheit beschützte?
    Farbe.
    Ayrid ließ den Blick über die am Boden verstreuten
Stäbe schweifen. Alle hatten verschiedene Farben, bis auf zwei,
die beiden dunklen Stäbe, die als einzige aus dem gleichen
Material bestanden. Sie waren in entgegengesetzte Richtungen gerollt,
bis sie in dem winzigen Raum an die Wand gestoßen waren. Ayrid
holte sie zurück und und hob sie, in jeder Hand einen,
näher an die Augen, um sie genauer zu betrachten.
    Die beiden Stäbe stießen einander ab.
    Bestürzt ließ Ayrid sie fallen. Das hatte sich
angefühlt, als wollten sie vor ihr fliehen. Aber das war
nicht so gewesen, als sie jeden in die Hand genommen hatte, um das
Messer an ihnen auszuprobieren, und sie hatten auch nicht versucht,
vor der scharfen Klinge zu fliehen. Vorsichtig hob sie die beiden
Stäbe wieder auf.
    Einer von ihnen klebte an einem anderen, helleren Metallstab. Als
Ayrid ihn aufnahm, nahm er den helleren Stab einen Augenblick lang
mit, bis der sich löste und mit einem dumpfen Klirren
zurückfiel. Sie hob den Stab wieder auf und hielt ihn an den
dunklen; die beiden strebten aufeinander zu wie zwei Verliebte.
    Ein Schauder überlief Ayrid und hinterließ eine
träge, fröstelnde Spur, die sich von ihrem Nacken den
Rücken hinunterschlängelte. Der dunkle Stab wollte zu dem anderen Metallstab und floh vor seinem dunklen
Bruder. War er denn lebendig? Und diese Wände, die
prickelten und sich verwarfen, sich öffneten und schlossen? Wie
eine riesige Kemburi, wie ein lebendiges gedankenloses Maul hatten
sie ihr Opfer mit Haut und Haaren verschluckt…
    Einen Moment lang war ihr, als müsse sie in eine bodenlose
Tiefe stürzen, weil sich Quom unter ihren Füßen als
ein gefräßiges Ungeheuer entpuppte, und sie kauerte sich
zusammen, ihr Verstand ein einziger blinder, lautloser Schrei. Dann
gewann die Vernunft wieder die Oberhand. Der Stab war nicht lebendig,
er war aus Metall; so fremd und absonderlich sich dieses Metall auch
benahm, es war nichtsdestoweniger Metall, und das einzige Lebendige
in diesem Raum war ihr Herz, das in ihrer Brust hämmerte, und
ihr Verstand, der wieder zu arbeiten begann. Metalle flohen nicht,
aber ein Glasbläser wußte, daß Erze ihre Form und
ihre Beschaffenheit ändern konnten.
    Ayrid brachte die beiden dunklen Stäbe zusammen, in jeder
Hand einen. Diesmal schnellten sie aufeinander zu. Sie hantierte ein
bißchen mit den Stäben herum, bis sie dahinterkam,
daß es für die Enden zwei Kombinationen gab, bei denen sie
fest zusammenhielten und zwei, bei denen sie sich abstießen.
Fasziniert berührte sie als nächstes mit jedem dunklen Stab
jeden anderen Stab. Sechs Metallstäbe blieben an den dunklen
Stäben kleben, nicht aber die Stäbe aus Holz, Stein, Kalk
und Glas; auch ein Stab aus einem unbekannten Metall reagierte nicht
und auch nicht der aus der weißen schlüpfrigen Substanz.
Auch das Messer nicht.
    Ein Metallstab, der sich der Länge nach an einen dunklen Stab
geheftet hatte, wollte, nachdem sie ihn gelöst und zufällig
gedreht hatte, plötzlich nichts mehr von dem dunklen Stab
wissen. Sie war so verblüfft – eben noch hatte er sich ganz
anders benommen –, daß sie den Stab fallen ließ. Als
sie ihn wieder aufhob, hatte er seine Abneigung gegen den dunklen
Stab vergessen.
    Was war passiert?
    Ein schwacher Duft breitete sich aus. Ayrid rümpfte die Nase.
Ihr blieb nicht mehr die Zeit, den Geruch zu identifizieren, die
Stäbe entglitten ihr, und das Gas raubte ihr die Besinnung.
    Ihr Körper sackte gegen die Wand. Nach einer Weile, als sie
langsam genug atmete, buckelte und kippte der Boden ein wenig. Die
zylindrischen Stäbe rutschten und rollten die Schräge
hinunter und in den Spalt hinein, der sich eigens für sie
aufgetan hatte. Das graue Messer und Ayrids Sack blieben zurück,
als sich der Boden unter Ayrid hob.
    Die Decke löste sich auf. Der Boden trug Ayrid empor und
schleuste sie dann horizontal durch einen langwierigen und
automatischen Dekontaminierungsprozeß, der ihr, wäre sie
bei Bewußtsein gewesen, die

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