Fremdes Licht
Und
das brachte die Geds am meisten aus der Fassung – sie
bekämpften sich gegenseitig, und das mit der Technologie der
interstellaren Raumfahrt. Es hätte die Menschen nicht geben
dürfen; sie hätten sich längst auf ihren Planeten
ausrotten oder sich gegenseitig in die tiefste Barbarei
zurückbomben müssen.
Ab und zu taten sie das auch. Aber nicht oft genug, und das war
unbegreiflich. Das war genetisch einfach nicht möglich. Und
dennoch gab es dieses Phänomen, die Menschen existierten, ebenso
wie ihre zerstörten Schiffe und die zerstörten Schiffe der
Geds – gleißende, erstarrte, radioaktiv verseuchte
Gräber, die durch die Leere trieben. Gräber, die keine
Antwort geben konnten.
Die Nachricht von der Flotte roch nach Verzweiflung: wieder eine
Schlacht gegen die Menschen verloren, deren Strategie von morgen nie
auf der von heute basierte.
»Der Zentrale Widerspruch«, grollte das
Bibliothekshirn samtweich.
»Sonnenseite: Die Menschenwesen tun einander Gewalt an.
Jenseits eines primitiven Stadiums der Evolution ist Gewalt innerhalb
der eigenen Spezies nicht entwicklungsfördernd: sie
zerstört Ressourcen und vergeudet Energie. Bei einer Spezies mit
großer genetischer Variationsbreite kann diese Gewalt sogar
jene geistigen Kräfte auslöschen, die am ehesten imstande
wären, neue Ideen hervorzubringen, Ideen, die den Mangel an
Kooperation innerhalb der Spezies wettmachen könnten.
Schattenseite: Die Menschenwesen haben die Technologie der
interstellaren Raumfahrt hervorgebracht. Das heißt, sie
müssen eine hochentwickelte Mathematik betreiben. Sie gewinnen
Schlachten und Territorien. Und trotzdem existieren sie.
Wir müssen verstehen lernen, wieso. Wir müssen den Zentralen Widerspruch lösen.«
Das Bibliothekshirn schlug eine selten benutzte Ausdrucksweise an.
Eine Ausdrucksweise, die eine vage Erklärung andeutete, die von
Fakten gestützt und zugleich logisch absurd zu sein schien.
»Bei dieser Spezies schließen interne Gewalt und
Entwicklung der interstellaren Raumfahrt einander nicht aus. Es
muß einen Ausgleich geben…
Wie er zustandekommt, wissen wir nicht. Das herauszufinden, ist
unsere Aufgabe.«
Teils organisch, teils anorganisch, wie das Bibliothekshirn war,
verkörperte es die Denkstrukturen der zahllosen Geds, die an ihm
gebaut hatten. Nach einer kurzen Pause grollte es samtweich: »In
uns singt die Harmonie.«
»In uns singt die Harmonie«, antwortete ein Ged. Sie
hieß Krak’gar, und sie war Poetin.
»Möge sie immer singen«, sagte der kleine
R’gref, der fast noch ein Kind war. Das war das erste Mal,
daß er an einem Experiment fern von seiner Heimatwelt
teilnahm.
»Sie wird auf immer singen«, sagte Grax. Er war es, der
in Harmonie mit der Menschenfrau gesungen hatte, die für die
Gruppe der ›Jeliten‹ sprach. Er war Lehrer für die
Heranwachsenden, und das war er aus demselben Grund, weshalb die
Dichterin eine Dichterin war – sie waren, was sie waren, aus
Freundlichkeit und weil sie Freude daran hatten, ein Bedürfnis
der Geds zu befriedigen. Er hätte auch Dichter werden
können; dann würde er jetzt nicht viel anders sprechen als
er es ohnehin tat. Aber er fand es einfach schön, Lehrer zu
sein. Er war auch derjenige, der voller Skepsis und Hoffnung die
Unterrichtshalle entworfen hatte.
Dieser Raum war die Leitstelle des Projekts, und auf den
Wandschirmen wanderten Dutzende von Menschen durch die Säle und
Hallen von R’Frow. Die Geds beobachteten das Treiben noch eine
Weile, dann schalteten sie die Bildschirme ab. Keiner von ihnen fand
zur anfänglichen Aufmerksamkeit zurück. Ihre Pheromone
verströmten Trauer um alle jene, die in der Schlacht verblieben
waren – Trauer war der einzige Trost, den sie sich spenden
konnten.
Die Achtzehn verließen, einander über Rücken,
Beine und Arme streichelnd, die Leitstelle, um sich alle miteinander
zu paaren. Sie würden sich bei tieferer Temperatur paaren, unter
gramvollen Pheromonen, in dem Bewußtsein, daß die Phiole
mit Sperma diesmal nicht ausgetrunken, sondern verbrannt werden
würde – den Toten zuliebe.
»In uns singt die Harmonie.«
»In uns singt die Harmonie.«
»Möge sie immer singen.«
»Sie wird auf immer singen.«
Das Bibliothekshirn blieb allein zurück, beobachtete und
lauschte, durchforstete auf der Suche nach Antworten Milliarden von
Molekülen und ebenso viele Datenbits aus der Menschenstadt.
»…Bei der menschlichen Spezies schließen interne
Gewalt und Entwicklung der interstellaren
Weitere Kostenlose Bücher