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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Frühnacht
einzustellen – wenn das hier Frühnacht war. Und
überall zwischen dem üppigen Grün blitzten, so bizarr
wie lebende Insekten in starrem Glas, die grauen Metallpfade, die
sich durch das Gelände schlängelten.
    Die Pfade besaßen präzise Begrenzungen und kamen von
überallher und liefen überallhin. Über den Baumwipfeln
zur Linken gewahrte Ayrid noch mehr Metall – die Dächer von
riesigen, rechteckigen Gebäuden dicht an der südlichen
Mauer.
    Grüne Wildnis, graues Metall. Hinter ihr hatte sich der
Torbogen geschlossen, und die östliche Mauer sah so aus, als
habe es da nie eine Öffnung gegeben. Ayrid ging in die Hocke und
legte beide Handflächen flach auf den Metallpfad. Sie
spürte ein schwaches Prickeln.
    »Hast du dich verletzt?«
    Ayrid sah hoch. Vor ihr stand dieser Soldat mit dem grimmigen
Gesicht und den wasserblauen Augen.
    »Nein, ich… Was haben die mit dem Licht
gemacht?«
    Gleichgültig blickte er in den Himmel. »Was ist
damit?«
    »Es kann noch nicht Frühmorgen sein – soviel Zeit
ist nicht vergangen. Diese Stoppeln hattest du schon im Lager, und
sie sehen noch genauso kurz aus…«
    Er befingerte sein Kinn und sah sie ernst an. »Die anderen
sind schon zu den Quartieren unterwegs. Besser, du bleibst hier nicht
alleine zurück. Da hinten, das sind die jelitischen Quartiere.
Bist du irgendwie verletzt?«
    Ayrid richtete sich auf. »Nein.«
    »Dann geh in eins der Quartiere, Glasbläser. Man hat
noch keine Wachen postiert. Komm, ich bring dich hin.«
    »Ich kann alleine gehen«, sagte Ayrid, doch der Soldat
tat, als hätte er das nicht gehört. Er hielt sie fest beim
Arm und führte sie die südliche Mauer entlang.
    »Ich heiße Kelovar.« Er verriet nicht seinen Namen
mütterlicherseits.
    »Ayrid.«
    Sie fragte ihn nicht, warum er nach R’Frow gekommen war; bei
ihrem kurzen Aufenthalt im Lager war ihr bereits aufgefallen,
daß diese Frage, und erst recht die Antwort darauf, tabu waren.
Beim Gehen bedachte er die südliche Mauer mit abschätzenden
Blicken, die dichtbelaubten Bäume und das Unterholz und diese
erstaunliche, unmögliche Metallbarriere.
    Leise sagte Ayrid: »Ein Jahr. Ein Jahr lang können wir
hier nicht raus.«
    »Meinst du? Wie hoch ist diese Mauer, zehnmal so hoch wie ein
Mann? Dicht an der Mauer stehen Bäume. Wenn wir wollen,
können wir hier raus.«
    »Willst du denn?«
    »Warum? Für dieses eine Dienstjahr haben sie uns Waffen
versprochen. Ich kann das eine Jahr dienen. Paß auf den Ast
auf.«
    Ayrid hatte den Ast schon gesehen. Kelovar ließ ihren Arm
nicht locker.
    Sie erreichten die erste Halle; dahinter standen noch weitere. Es
waren große, fensterlose Metallwürfel, die auf jeder Seite
einen großen, offenen Torbogen hatten; Ayrid fragte sich, wie
diese Gebäude nachts die Wärme hielten.
    »Schwer zu verteidigen«, sagte Kelovar. Die Züge um
seinen Mund strafften sich, und für einen Augenblick flackerte
etwas in seinen Augen, daß Ayrid den Blick abwenden
mußte; sie fröstelte.
    Das untere Geschoß war ein einziger riesiger Raum, der sein
Licht hauptsächlich aus den offenen Torbögen bezog. An
einer Wand hing ein einsamer, warmgelb leuchtender Ring, der aber
kaum zur Helligkeit beitrug. So gedrungen und glatt das Gebäude
von außen aussah, so sehr überraschte das Innere;
überall auf dem Boden lagen Sitzkissen; die strahlenden Farben
und die verwickelten, fremdartigen Muster fesselten das Auge und
nahmen es mit auf eine wundersame Reise. Es war der Künstler in
Ayrid, der sich hinkniete und den seltsamen, schönen Wirbeln mit
dem Finger folgte.
    »Steh auf«, sagte Kelovar. »Die Quartiere sind
oben.«
    Außer den Sitzkissen gab es hier unten noch lauter kleine,
runde, unverrückbare Tischchen, Auswüchse des Bodens, die
aussahen wie erstarrte und abgeflachte Blasen auf einem Metallteich.
Ayrid betastete eins der Tischchen; da war wieder dieses schwache
Prickeln.
    »Hier entlang«, sagte Kelovar.
    Er zog sie mit zu einer Leiter, die ins zweite Geschoß
hinaufführte, in einen fensterlosen grauen Korridor, rechts und
links nur Türen. In einigen Türrahmen standen Delysier. Am
Kopf der Leiter versperrten drei Mann den Zugang zum Korridor.
    »Zwanzig Habrin, Soldat. Für ein Zimmer.«
    »Was?«
    »Ihr beide wollt ein Zimmer, das kostet. Nichts ist umsonst.
Zwanzig Habrin, oder meine Partner und ich drücken die Daumen an
all die Türen, die noch frei sind, und ihr schlaft umsonst, bis
wir euch einen Besuch abstatten. Es kommt euch billiger, wenn

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