Fremdes Licht
Markierung. Wenn du…«
Die Botschaft wurde dreimal wiederholt. »Das machen die immer
so«, flüsterte Ayrid. Kelovar schwieg; er preßte den
Daumen in die Markierung. Die Tür schwang auf.
Das Zimmer war ein fensterloses Geviert aus grauem Metall, leer
bis auf drei prächtige Kissen, die allerdings länger und
dünner waren als die im Untergeschoß. Rechts von der
Tür, wo die Wand fugenlos glatt war, saß ein flacher,
warmgelb glühender Ring, dessen Licht zu schwach war, um das
Zimmer zu erhellen. Ohne das Licht, das durch die offene Tür
fiel, würde es hier drinnen dunkel sein. Das Zimmer war ein
finsterer, nackter Kasten, nur gedacht, um darin zu schlafen. Ein
Sarg. Ayrid fröstelte.
Sie fühlte, daß Kelovar sie beobachtete, drehte sich um
und ertappte seinen Blick, bevor er sich wappnen konnte. Der Blick
war nicht schwer zu deuten, aber nichts regte sich in ihr – kein
Verlangen, kein Interesse, nicht einmal weibliche
Selbstgefälligkeit.
»Wenn du Angst hast, allein hier drinnen…«
»Da war noch eine verschlossene Tür, weiter
hinten«, sagte Ayrid so sanft wie möglich. »Du bleibst
hier, und ich nehme mir das andere Quartier.«
Sie preßte den Daumen in die Markierung der anderen
Tür. Das Zimmer dahinter sah genauso aus wie das von Kelovar.
Einer Eingebung gehorchend drückte sie mit der Fingerspitze
mitten in den glühenden Ring. Licht sprang ins Zimmer, Licht,
das von nirgends und überall herkam, leicht orangefarbenes
Licht. Das geschah so unerwartet, daß Ayrid einen Laut des
Schreckens ausstieß. Sie drückte noch einmal mitten in den
Ring, und das Licht erlosch wieder. Eine Lampe – das war eine
Lampe.
Auf einem Kissen kniend, untersuchte sie die fremdartige Lampe.
Der Ring war nicht erhaben, war vielmehr fugenloser Bestandteil der
Wand. Er wurde nicht warm. Aber was war der Brennstoff? Wo war die
Flamme? Sie saß eine Zeitlang da, ratlos und fasziniert und
eingeschüchtert. Draußen pochte jemand an die Tür.
Sie wurde erst nach einer Weile darauf aufmerksam.
Kelovar stand im Korridor, bepackt mit einem Haufen herrlicher
Kissen.
»Die sind für dich.«
»Für mich?«
»Von unten. Da werden sie verkauft. Die hab ich für dich
genommen. Burnusse gibt es nicht, auch kein Tuch – die ganze
Stadt ist eine einzige Wildnis, bis auf die Metallpfade; nach Norden
zu ist das vielleicht anders. Du kannst die Kissenbezüge
auftrennen. Im Korridor ist ein Schneider, der gebrauchte Tebel in
Zahlung nimmt.«
Sein Blick wanderte über ihre Brust und rief ihr ins
Gedächtnis, was der Delysier in der Savanne mit ihrem Tebel
angestellt hatte, und daß der Tebel nur notdürftig
geflickt war. Kelovar schlug nicht den Blick nieder. Ayrid nahm ihm
die Kissen ab, drehte sich um und setzte sie auf den Boden.
»Wie ist das passiert, mit deinem Tebel?«
»Einfach so.«
»Ayrid…«, setzte er an, doch kaum hatte sie die
Hand erhoben, um sich gegen seinen Unterton zu verwahren, als der
Schrei einer Frau durch die Halle gellte. Rufe und Schreie drangen
aus dem Erdgeschoß. Kelovar wirbelte herum und spurtete zur
Leiter; nach kurzem Zögern stieß Ayrid ihre Tür zu
und folgte ihm. Am Fuß der Leiter blieb sie stehen und sah sich
um.
Jedes von den Bodentischchen trug vier dampfende Schalen –
keines mehr und keines weniger, hübsch akkurat um die Mitte
arrangiert. Eine Frau neben Ayrid fand die Sprache wieder.
»Die Tischplatten haben sich aufgelöst«, sagte sie
mit einer Stimme, so schwach und zittrig, daß Ayrid
unwillkürlich den Hals reckte, um besser zu verstehen.
»Genau wie vorhin, als sich das Tor aufgetan hat. Erst war das
Metall fest, dann war da so eine Art… eine Art Schimmern, und
das Metall war fort. Darunter kam das andere Metall hoch, mit den
Schüsseln drauf.«
»Aber der Schrei. Eine Frau hat…«
»Die Frau da drüben ist erschrocken – die dicke da.
Ich glaube, wir sollen das essen, was in den Schüsseln
ist.« Eine unterschwellige Erregung ließ die zaghafte
Stimme vibrieren, so wie die Unterströmung einen stillen
Gebirgssee kräuselt. »Paß auf – Khalid
T’Alira kostet davon.«
Ayrid folgte dem Blick der Frau. Ein großgewachsener,
kraushaariger Soldat vom Rang eines Hauptmanns steckte drei Finger in
die dampfende Schüssel, nahm etwas heraus und steckte es sich in
den Mund. Er kaute bedächtig und nickte den Soldaten zu, die
neugierig dabeistanden. Plötzlich kreischte die dicke Frau:
»Vielleicht ist es vergiftet!« Und dann schien sie kein
Ende mehr zu finden.
Weitere Kostenlose Bücher